Das Immunsystem ist ein komplexer Abwehrapparat unseres Körpers, der uns vor fremden Substanzen und Organismen schützen soll. Das gelingt nicht immer gleich gut, denn die Effektivität des Immunsystems wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Einer davon ist Stress.
Egal ob beruflich oder privat – jeder war schon einmal einer Stresssituation ausgesetzt. Doch was ist Stress eigentlich genau und was macht er mit unserem Körper? «Stress ist die Reaktion des Körpers auf eine Bedrohung und wird als ein Gefühl emotionaler oder physischer Anspannung wahrgenommen», erklärt Samuel Gehrke, Assistenzarzt an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik. Diese Reaktion steht in direkter Verbindung zum Immunsystem. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Arten der Immunabwehr: die unspezifische und die spezifische. Die unspezifische Immunabwehr ist das generelle Schutzschild des Körpers. Es hindert Krankheitserreger daran, in den Körper einzudringen.
Bei der spezifischen Immunabwehr hingegen handelt es sich um eine speziell auf den Krankheitserreger zugeschnittene Reaktion. Gelangt ein Krankheitserreger in den Körper wird die spezifische Abwehr aktiv. Die B-Zellen des Körpers produzieren Antikörper, die die Strukturen auf der Oberfläche der Erreger erkennen und dort «andocken» können. Dadurch aktivieren sie auch andere Zellen und der Erreger wird zerstört.
Unser Immunsystem und Stresswahrnehmung sprechen die gleiche Sprache
Lange Zeit war nicht bekannt, dass die Psyche biologisch nachweisbar eine Auswirkung auf den Körper hat. Erst in den letzten zehn Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Immunzellen den gleichen Rezeptor auf ihrer Oberfläche haben wie Nervenzellen. Das bedeutet, dass sie die gleiche Sprache sprechen und direkt miteinander kommunizieren können. Neuere Entdeckungen deuten sogar darauf hin, dass einige Nerven über Verbindungen mit Immunorganen wie z.B. der Milz kommunizieren und deren Funktion beeinflussen können.
Chronischer Stress macht uns krank
In kurzen Schüben kann Stress zwar positiv sein, zum Beispiel, wenn es um die Vermeidung von Gefahr geht oder darum, einen Termin einzuhalten. Dann werden im Körper eine grosse Menge an Immunreaktionen ausgelöst. Die weissen Blutkörperchen können dann zum Beispiel schneller an den Ort der „Gefahr“ mobilisiert werden. Es kann sogar zu einer erhöhten Produktion von Immunzellen beitragen. Diese positiven Wirkungen sind aber nur von kurzer Dauer und verschwinden genauso schnell, wie sie gekommen sind. Ist man dem Stress aber über einen längeren Zeitraum ausgesetzt, kann er der Gesundheit schaden. «Die Auswirkungen von Stress auf den Körper sind enorm und treten viel häufiger auf, als wir denken», so Samuel Gehrke. Jede Art von Stress, der sich über Wochen oder Monate hinzieht, ist chronischer Stress. Die Ausschüttung von Stresshormonen wirkt sich direkt auf das Immunsystem aus. Dadurch verlieren die Immunzellen die Fähigkeit, sich zu vermehren, um Krankheitserreger abzutöten. Auch die Menge an Antikörpern in unserem Speichel verringert sich.
Immer positiv denken
Laut Samuel Gehrke können Gedanken das Immunsystem nachhaltig beeinflussen. «Sie führen zu Emotionen, die in den Teilen des Gehirns gesteuert und verarbeitet werden, die unser Überleben kontrollieren». Einige Studien zeigen, dass Menschen mit positiveren Gedanken besser auf Impfstoffe reagieren und eine wirksamere Immunzellfunktion aufweisen. Sogar bei Patientinnen und Patienten mit Immundefekten wie Darmentzündungen oder HIV zeigt sich, dass sie einen besseren Krankheitsverlauf aufweisen, wenn sie positiv denken.
Samuel Gehrke ist seit einem Jahr als Assistenzarzt an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik am USZ tätig. Dort befasst er sich vor allem mit dem Zusammenhang zwischen dem Körper und der Psyche. Sein Studium absolvierte er in Brasilien, gefolgt von einem Doktorat in Zürich. In seiner Freizeit liest er viel über alte Kulturen, kocht und rudert auf dem See.