Pflegefachexperte CF Thomas Kurowski führt einen Lungenfunktionstest bei einer CF-Patientin durch.

Story

Wenn das Erbgut krank macht

Publiziert am 02. Juni 2022

Erbkrankheiten beruhen auf Mutationen am Erbgut und können an Nachkommen weitergegeben werden, ohne dass die Eltern selbst erkrankt sind. Die häufigste Erbkrankheit in Europa ist die Stoffwechselstörung Cystische Fibrose. In der Schweiz sind rund 1’000 Menschen davon betroffen.

Erbkrankheiten können durch eine oder mehrere Mutationen des Erbguts entstehen. Müssen sie aber nicht. Nicht selten tritt die Erbkrankheit bei Trägern einer Genveränderung oder deren Nachkommen gar nicht in Erscheinung. Grund dafür sind unterschiedliche Vererbungs-, Wiederholungs- und Erkrankungswahrscheinlichkeiten. So kann das krankmachende «Erbe» je nach Konstellation über mehrere Generationen verborgen bleiben. Kommt hinzu, dass es Mutationen gibt, die an das Geschlechtschromosom gebunden sind, entsprechend nur bei Männern oder Frauen auftreten.

Angeborene Gendefekte können zu einem Funktionsverlust führen, sich in einem fehlregulierten Gewebewachstum zeigen, bestimmte Stoffwechselreaktionen stören oder gewisse Zelltypen zugrunde gehen lassen. In der Regel sind Erbkrankheiten nicht heilbar. Bei gewissen Störungen kann jedoch der Krankheitsverlauf durch Medikamente und ein breites Therapieangebot verlangsamt werden.

Genetische Sprechstunde schafft Klarheit

Bei Fragen zu möglichen Erbkrankheiten in der Verwandtschaft oder beim Bedürfnis von Paaren, vor der Familienplanung die Trägerschaft einer Erbkrankheit auszuschliessen, schafft ein Besuch in der Genetischen Sprechstunde am Universitätsspital Zürich Klarheit. Mittels Gentests werden die Chromosomen auf zahlenmässige und strukturelle Veränderungen überprüft. Bei einer genetisch bedingten Erkrankung oder Trägerschaft werden in der Sprechstunde der Krankheitsverlauf, allfällige Vorsorgemassnahmen oder besondere Behandlungsstrategien sowie das Vererbungsmuster und das Wiederholungsrisiko erläutert.

Auf Erbkrankheiten fokussieren auch verschiedene Forschungsprojekte, die von der USZ Foundation unterstützt werden. Im Fall der Prionenkrankheit, einer fortschreitenden, degenerativen und bislang tödlich verlaufenden Erkrankung des Gehirns, suchen Forschende nach den verantwortlichen Genen, um damit eine Grundlage für die Entwicklung von Medikamenten zu schaffen. Ein weiteres Forschungsteam untersucht genetisch bedingte Augenerkrankungen. Denn je genauer die Mutation bekannt ist, desto klarer können die Auswirkungen auf die Augen eingegrenzt und zielgerichteter schon im Kindesalter behandelt werden.

Bekannt und verbreitet

Zu den bekanntesten Erbkrankheiten gehört die Farbenblindheit (Achromasie). Betroffene nehmen Farben nicht oder nur eingeschränkt (Di-/Monochrasie) wahr. Darum sind sie von gewissen Berufen ausgeschlossen – Pilot, Lokomotivführerin, Autolackierer, Druckbereich, Elektrotechnik. Auf die Bewältigung des Alltags hat diese Krankheit indes nur wenig Einfluss. Rund acht Prozent aller Männer haben eine angeborene Farbsinnstörung. Bei den Frauen sind es lediglich 0.4 Prozent.

Bei der Bluterkrankheit (Hämophilie) handelt es sich um eine vererbte und unheilbare Störung der Blutgerinnung. Dank moderner Therapien können Bluterkranke allerdings ein weitgehend normales Leben führen. Von 10’000 Männern erkranken zwei an einer Hämophilie. Frauen sind praktisch nicht betroffen.

Der Kleinwuchs (Achondroplasie) ist eine zwar bekannte, aber seltene Erbkrankheit. Bei Betroffenen ist das Längenwachstum der Röhrenknochen beeinträchtigt. Oberarm- und Oberschenkelknochen sind bei dieser genetisch bedingten Wachstumsstörung verkürzt. Die Knochen sind aber normal dick, und der Rumpf ist nahezu normal lang. Auf 20’000 Geburten tritt ein Fall von Achondroplasie auf.

Weit häufiger, mit einem Fall auf 700 Geburten, wird ein Kind mit Down-Syndrom (Trisomie 21) geboren. Dabei handelt es sich eigentlich nicht um eine Krankheit, sondern um eine chromosomale Anomalie. Das Chromosom 21 liegt nicht zwei Mal, sondern drei Mal vor. Betroffene haben somit über 47 statt 46 Chromosomen. Unterschiedlich starke körperliche Fehlbildungen sowie geistige Einschränkungen gehen mit Trisomie 21 einher. Je nach Einzelfall und individueller Förderung können diese Menschen aber ein weitgehend normales Leben führen. In der Schweiz kommen pro Jahr rund 120 Kinder mit Down-Syndrom zur Welt.

Cystische Fibrose – nicht geläufig, aber häufig

In Europa am weitesten verbreitet ist die Stoffwechselerkrankung Cystische Fibrose (CF), auch Mukoviszidose genannt. Wegen eines defekten Gens funktionieren bei Betroffenen die schleimbildenden Zellen nicht richtig. Zähflüssiger Schleim belastet die Organe und kann in der Lunge zu Husten, Besiedlung mit Bakterien und Entzündungen führen. Dabei nimmt die Lunge zunehmend Schaden und das Atemvolumen stetig ab. Weil der Körper verschiedene Nährstoffe (v. a. Fette und fettlösliche Vitamine) nicht aufnehmen kann, ist auch die Verdauung, insbesondere die Bauchspeicheldrüse, die Leber und der Magen-Darm-Trakt, beeinträchtigt. Zu den Folgen gehören Bauchschmerzen, Durchfall und eine reduzierte Gewichtszunahme.

In der Schweiz leben rund 1’000 CF-Patientinnen und -Patienten. Geschätzte 320’000 Menschen in der Schweiz sind Träger der defekten Erbsubstanz. Weltweit besitzen rund vier Prozent aller Menschen einen Gendefekt, mit dem sie die Cystische Fibrose vererben können.

Jedes Neugeborene wird getestet

Um Betroffene so früh wie möglich optimal versorgen zu können, werden seit 2011 alle Säuglinge in der Schweiz im Rahmen eines Neugeborenen- Screenings unmittelbar nach der Geburt auf Cystische Fibrose untersucht. Durch einen Piks in die Ferse wird dem Baby ein Tropfen Blut entnommen. Ist der Wert des immunreaktiven Trypsins erhöht, wird das Blut auf die häufigsten Genveränderungen untersucht. Bei Verdacht auf Cystische Fibrose kommt der sogenannte Schweisstest zur Anwendung, denn in der Schweisszusammensetzung zeigt sich der Funktionsdefekt. Bei vor dem Jahr 2011 Geborenen kann die Krankheit jedoch lange unentdeckt bleiben.

CF-Zentrum am USZ für 140 Betroffene

Cystische Fibrose verläuft chronisch und fortschreitend. Sie kann nicht geheilt, aber mit Therapiemöglichkeiten sowie medikamentös behandelt werden. Schweizweit 24 CF-Zentren/-Ambulatorien kümmern sich um Patientinnen und Patienten. In Zürich behandelt das Kinderspital die Betroffenen bis zur Volljährigkeit. Danach übernimmt das CF-Zentrum der Klinik für Pneumologie am Universitätsspital Zürich. «Derzeit betreuen wir rund 140 Patientinnen und Patienten», sagt Thomas Kurowski, Pflegefachexperte CF und Koordinator im CF-Zentrum am USZ. «Unsere älteste Patientin ist 67 Jahre alt.» In der Schweiz sind mittlerweile rund 50 Prozent der CF-Patienten Erwachsene. Pro CF-Zentrum stehen eine breite ärztliche Betreuung, Ernährungsberatung, Sozialdienst, psychologische Beratung, Physiotherapie und mit dem Koordinator eine weitere, wichtige Anlaufstelle zu Verfügung.

Game-Changer Trikafta

Lag die Lebenserwartung von CF-Betroffenen in den 1980er-Jahren noch bei knapp 20 Jahren, beträgt sie aktuell fast 50 Jahre und steigt von Jahr zu Jahr weiter an. Einen grossen Anteil an dieser Entwicklung dürfte das Medikament Trikafta haben.

1989 identifizierten Forscher den Gendefekt, welcher der Cystischen Fibrose zugrunde liegt. Weitere 15 Jahre verstrichen, bis ein erstes Medikament auf den Markt kam, das genau dort wirkt, wo die Erkrankung entsteht: am CFTR-Kanal. Mit Trikafta steht nun die vierte Generation von CFTR-Modulatoren im Einsatz.

Am 1. Januar 2021 erteilte die Schweizerische Arzneimittelbehörde Swissmedic Trikafta die Zulassung für CF-Betroffene ab zwölf Jahren. Der Einsatz des Medikaments ist ein voller Erfolg. «Rund 80 Prozent der CF-Patientinnen und -Patienten sprechen auf Trikafta an. Für sie ist die Einnahme mit einer markanten Verbesserung ihrer Lebensqualität verbunden », bestätigt Macé Schuurmans, der Leiter des CF-Zentrums am USZ. «Trikafta ist ein regelrechter Game-Changer. Es kann die Lungenfunktion um 20 Prozent und mehr verbessern.» Das Medikament hat aber mit monatlich rund 15’000 Franken seinen Preis. Macé Schuurmans betont: «Wenn wir es schaffen, dass unsere Patientinnen und Patienten mit diesem Medikament auf eine Lungentransplantation verzichten und berufstätig bleiben können, hat es sich gelohnt.»

Dank Trikafta sind die Patienten gesünder und weisen weniger Krankheitssymptome auf. Sie erleben eine weitgehende Normalisierung des Lebens, verbunden mit einem grösseren Arbeitspensum. Dadurch entfallen nicht nur Physiotherapie- und IV-Rentenkosten, sondern die Betroffenen gewinnen an Lebensqualität und können auch ihre Rolle in der Gesellschaft wieder einnehmen.

Derweil setzen die Medikamentenentwickler ihre Arbeit unter Hochdruck fort. Bald schon sollen weitere Wirkstoffe einsatzbereit sein. Denn: Noch warten 20 Prozent der CF-Betroffenen mit anderen genetischen Ausprägungen auf wirksame Hilfe, um die Folgen ihres krank machenden Erbes abzumildern.

Grafik autosomal-dominante Erbgang

Vererbung

Unterschieden wird zwischen autosomalrezessiven, -dominanten, gonosomalen und mitochondrialen Erbgängen. Bei einer weiteren Form, den multifaktoriellen Krankheiten, stellt sich die Krankheit erst im Laufe des Lebens ein. Gonosomen sind die beiden Geschlechtschromosomen X und Y. Alle anderen Chromosomen heissen Autosomen.

 

Autosomal-dominante Erbgänge Geschlechterunabhängig. Kommt in jeder Generation vor. Ein verändertes Allel, eines von zwei einander entsprechenden Genen homologer Chromosomen, führt zur Merkmalsausprägung. Beispiele: Achondroplasie (Kleinwuchs), Retinoblastom (Netzhauttumor), Polydaktylie (Mehrfingrigkeit).

 

Autosomal-rezessive Erbgänge Geschlechterunabhängig. Kann Generationen überspringen. Damit die Krankheit ausbricht, muss die Genmutation auf beiden Chromosomen vorkommen. Meistens handelt es sich um eine Funktionsverlustmutation. Beispiele: Cystische Fibrose, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Albinismus.

 

Andere Erbgänge Bei gonosomalen Erbgängen betreffen die Veränderungen die Geschlechtschromosomen X und Y. Ist das Erbgut in der Zelle intakt, liegen aber Fehler in der DNA der Mitochondrien vor, spricht man von mitochondrialen Erbgängen.

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