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Volkskrankheit Diabetes

Weltweit leiden rund 425 Millionen Menschen an Diabetes, in der Schweiz ist es schätzungsweise eine halbe Million. Forschung und medizinische Entwicklung haben viel erreicht, um ihnen ein beschwerdefreies Leben zu ermöglichen. Es erkranken aber zunehmend auch jüngere Menschen an diesem schweren chronischen Leiden.

Dieser Artikel wurde das erste Mal am 27. Juli 2020 publiziert. 

„Ich bin mein eigenes Tamagotchi“, sagt Bastian. Der 29-Jährige weiss seit 15 Jahren, dass er an Diabetes Typ 1 erkrankt ist. Seine Bauchspeicheldrüse produziert kein Insulin, dadurch ist der Zuckerstoffwechsel in seinem Körper gestört. Bereits als Teenager hat Bastian gelernt, im Alltag mit seiner Erkrankung umzugehen. Dabei helfen ihm heute verschiedene moderne Technologien: Sensoren an Arm und Bauch, kaum grösser als Knöpfe, überwachen seine Blutzuckerwerte, und über ein Dosiergerät gibt er seinem Körper die jeweils nötige Menge Insulin ab. So ausgerüstet, führt der junge Mann ein fast normales Leben. Rund 40’000 Menschen in der Schweiz sind wie Bastian an Diabetes Typ 1 erkrankt. „Vor 100 Jahren sind Menschen mit der Diagnose Diabetes mellitus Typ 1 gestorben, und zwar innerhalb weniger Volkskrankheit Diabetes Monate“, erklärt Philipp Gerber, Leitender Arzt in der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung am USZ. Seit es im Jahr 1921 gelungen ist, Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Hunden zu isolieren, hat die Medizin für Diabetikerinnen und Diabetiker sehr viel erreicht. Heute überleben sie nicht nur, sondern haben auch kaum Einschränkungen bezüglich ihrer Lebensqualität. Sie müssen sich allerdings diszipliniert an eine Therapie halten, tagtäglich – ein Leben lang.

Immer häufiger auch junge Menschen betroffen

Bei Menschen mit Diabetes Typ 2 ist die Insulinwirkung im Körper gestört und die Aufnahme von Zucker aus dem Blut deshalb unzureichend. Das kann zu gesundheitlichen Folgeschäden führen. Dieser Typ Diabetes tritt familiär gehäuft auf. Früher waren die Patientinnen und Patienten typischerweise eher höheren Alters. Heute erkranken jedoch zunehmend auch Teenager. Häufig sind ungesunde Lebensgewohnheiten ausschlaggebend. Übergewicht, mangelnde Bewegung und falsche Ernährung spielen dabei eine wichtige Rolle. „Es ist allerdings ein Irrtum, zu glauben, nur mit dem Verzicht auf Süsses zum Zvieri könne man etwas ausrichten“, warnt Philipp Gerber. Insgesamt gehe es vor allem um ein Zuviel an Ernährung und ein Zuwenig an Bewegung. Dagegen könne man etwas tun. Und wer von einer erblichen Vorbelastung weiss, hat noch mehr Grund, bei den Faktoren, die man selbst beeinflussen kann, anzusetzen. Bevor er Medikamente verschreibe, so Philipp Gerber, arbeite er mit seinen Patientinnen und Patienten an ihrem Lebensstil und zeige ihnen auf, was sie mit entsprechender Disziplin erreichen können. Prädiabetes, erklärt Gerber, sei eine Vorstufe von Diabetes. Die Blutzuckerwerte sind bereits erhöht, eine medikamentöse Therapie aber noch nicht unbedingt angezeigt. In diesem Fall könne man in einem ersten Schritt versuchen, seinen Lebensstil zu ändern. So sehen Betroffene, was sie selbst erreichen können, welche Massnahme zu einer Verbesserung ihrer Situation führt.

Mit Kohlenhydraten richtig umgehen

Müssen sie ihren Lebensstil ändern, können sich die Patientinnen und Patienten am USZ an die Fachpersonen der Ernährungsberatung wenden. Diese bringen ihnen zum Beispiel bei, wie es gelingt, den Blutzuckeranstieg nach dem Essen zu vermeiden, wie sie ausgewogene Mahlzeiten zubereiten können und welche körperlichen Aktivitäten für sie passend sind. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, Übergewicht abzubauen, vielmehr lässt sich mit viel Bewegung das Hauptproblem des Diabetes, die Insulinresistenz, direkt bekämpfen. Eine leicht verbesserte Fitness kann schnell erreicht werden und hilft bereits, das Blutbild zu verbessern.

Eine grosse Palette an gut verträglichen Medikamenten

Lässt sich Diabetes einzig mit der Änderung des Lebensstils heilen? „Es ist möglich, den Blutzucker in einen normalen Bereich zu bringen. Man darf aber nicht zu hohe Erwartungen haben. Es gibt Patienten, die bemühen sich sehr, schaffen es aber trotzdem nicht, ihre Werte zu verbessern, weil zum Beispiel eine erbliche Vorbelastung besteht. In solchen Fällen greift man auf Medikamente zurück“, erklärt Philipp Gerber. Die Palette unterschiedlicher Medikamente ist gross und umfasst zahlreiche Tabletten oder Wirkstoffe zum Spritzen mit oder ohne Insulin. Seit einigen Jahren stehen zudem Substanzen zur Verfügung, die zeitgleich mit dem Zucker auch die Prognose bei Herz-Kreislauf-Problemen oder Herzinsuffizienz verbessern. Auch bezüglich der technischen Hilfsmittel gab und gibt es einen grossen Innovationsschub. Dank der Entwicklung immer besserer und schonenderer Medikamente und der Miniaturisierung von Geräten zur Messung des Blutzuckers und zur Dosierung von Insulin können Ärztinnen und Ärzte vielen betroffenen Menschen das Versprechen geben, dass sie nicht mit gesundheitlichen Folgeschäden durch ihre Erkrankung rechnen müssen. Seit Kurzem gibt es auch Apps, die Diabetikerinnen und Diabetiker dabei unterstützen, ihren Blutzucker gut einzustellen. Beim Tamagotchi-Spiel, das Bastian gerne als Analogie für den Umgang mit seiner Krankheit heranzieht, muss man die Werte des digitalen Haustiers im Griff haben, um ihm ein langes Leben zu ermöglichen. Behält Bastian seine Blutzuckerwerte immer aufmerksam im Auge, wird er trotz seiner schweren chronischen Erkrankung ein ganz normales Leben führen können.

Schwangerschaftsdiabetes

​15 bis 20 Prozent aller schwangeren Frauen in der Schweiz sind von Schwangerschaftsdiabetes betroffen. Beim Schwangerschaftsdiabetes sind die Grenzwerte tiefer, da bereits wenig ausgeprägte Blutzuckerwerte zu Problemen in der Schwangerschaft führen können. Sind die Werte hoch, werden Kinder sehr gross und schwer. Bei einer ausgeprägten Blutzuckererhöhung besteht zudem das Risiko von Missbildungen. Bei einer schwangeren Frau gehört deshalb ein Blutzuckerbelastungstest zum Standard. Auch bei Schwangeren stehen Lebensstilmassnahmen an erster Stelle, namentlich ausreichend Bewegung und eine Anpassung der Menge Kohlenhydrate in der Ernährung. So schaffen viele Patientinnen bereits eine gute Einstellung des Blutzuckers.