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Tuberkulose: Ein tückischer Schläfer

Zuletzt aktualisiert am 24. November 2022 Erstmals publiziert am 28. Oktober 2022

Tuberkulose – eine Seuche aus vergangenen Tagen? Ganz im Gegenteil: Die Infektionskrankheit gibt es durchaus noch, auch in der Schweiz.

Im Jahr 2020 erkrankten weltweit 9.9 Millionen Menschen an Tuberkulose, und 1.5 Millionen starben daran. Damit ist die Tuberkulose nach COVID-19 die Infektionskrankheit mit den zweitmeisten Todesfällen weltweit. Die meisten Erkrankten gibt es in der südlichen Hälfte Afrikas und in Asien. Doch auch die Schweiz verzeichnet jährlich noch rund 500 Fälle.

Infektionskontrolle durch Contact Tracing

Die meisten der mit Tuberkulose infizierten Personen in der Schweiz haben sich in einem Land angesteckt, in dem die Tuberkulose noch weit verbreitet ist. Dass die Krankheit in der Schweiz eingedämmt werden konnte und sich auch bei neuen Fällen nicht weiter ausbreitet, liegt vor allem an einer sofortigen Isolation und der umgehenden Behandlung der Patientinnen und Patienten sowie an einem rigorosen Contact Tracing. Dabei ist die Diagnose zu Beginn oft gar nicht so einfach zu stellen. «Die Symptome sind unspezifisch, Fieber, Husten, allgemeines Unwohlsein, nächtliches Schwitzen oder Gewichtsverlust kommen auch bei vielen anderen Erkrankungen vor», erklärt Silvan Vesenbeckh, Oberarzt in der Klinik für Pneumologie.

«Schläfer» im Körper

Hinzu kommt, dass eine Infektion mit Tuberkulose-Erregern nicht zwangsläufig zu einer Erkrankung führt. Rund 90 Prozent der Infizierten tragen das Bakterium zwar in sich, haben aber keine Symptome und sind auch nicht ansteckend für andere. Die Abwehrzellen bilden einen Wall um die Erreger und kapseln diese so vom Rest des umliegenden Gewebes ab. Dort können sie über Jahre überleben, ohne dem Infizierten zu schaden. Diese latente Infektion kann aber aktiv, also zur Erkrankung werden. Zum Beispiel, wenn das Immunsystem geschwächt ist und den Wall nicht weiter aufrechterhalten kann, beispielsweise bei einer HIV-Infektion oder auch im Alter. So können Menschen auch Jahre nach der eigentlichen Infektion noch plötzlich erkranken.

Eine Erkrankung des gesamten Systems

Die Tuberkulose ist eine Tröpfcheninfektion. «Wird die Atemluft eines Menschen mit offener Lungentuberkulose über längere Zeit eingeatmet, kann sich die Person infizieren.» Nicht jeder Tuberkulose-Kranke ist jedoch ansteckend, erläutert Silvan Vesenbeckh. Weil die Bakterien in der Regel über die Atemwege in den Körper eintreten, betreffen rund 80 Prozent der gemeldeten Tuberkulose-Erkrankungen primär die Lunge. Die Erreger können aber auch andere Organe befallen wie Lymphknoten, Rippenfell, Knochen, Gelenke oder Gehirn. Meist gelangen die Bakterien über die Lymph- und Blutbahn in andere Organe und bilden auch dort Entzündungsherde. Ohne Behandlung kann die Erkrankung tödlich verlaufen.

Therapie als Geduldsprobe

Die gute Nachricht: Tuberkulose lässt sich gezielt behandeln und hat sehr gute Heilungschancen. Die Therapie ist jedoch langwierig. Erkrankte müssen in der Regel über sechs Monate eine Kombination aus verschiedenen Antibiotika einnehmen. Das ist für die Betroffenen nicht immer einfach. Auch wenn sich die Symptome bessern, muss die Therapie unbedingt bis zum Ende fortgeführt werden. Sonst droht ein Rückfall oder auch die Entstehung von Resistenzen. Nebenwirkungen erschweren oft auch die Therapie. «Daher ist es sehr wichtig, die Therapie engmaschig zu überwachen», sagt Silvan Vesenbeckh. Die Patientinnen und Patienten werden vom Ärzteteam und von der Lungenliga Zürich während der ganzen Behandlung begleitet.

Neue Impfung in der Pipeline

Antibiotikaresistenzen sind einer der Gründe, warum die Entwicklung einer Impfung in den letzten Jahrzenten wieder vermehrt in den Fokus gerückt ist. Die Entwicklung ist zeitaufwendig und kostenintensiv. Bis zum Ausbruch der Krankheit kann es Jahre dauern. Das heisst im Umkehrschluss, dass Probanden in der Wirkstoffentwicklung über Jahre beobachtet werden müssen, um festzustellen, ob die Impfung wirkt. Zwar gibt es bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Lebendimpfung «BCG». Diese wirkt zur Prävention schwerer Erkrankungen bei Kindern gut und wird darum in Gebieten mit sehr hohen Fallzahlen immer noch verwendet. «Der Schutz hält aber nicht lange an, und um die Tuberkulose durch eine Impfung weiter einzudämmen, müssten auch Erwachsene geimpft werden können», ordnet Silvan Vesenbeckh ein. Eine sich noch in der Entwicklung befindende Impfung aus Südafrika verspricht nun genau dies: Sie scheint das Erkrankungsrisiko um rund 50 Prozent zu mindern – was als sehr guter Schutz zu werten wäre.

Drei Fragen an Johannes Nemeth

Johannes Nemeth, Sie beschäftigen sich mit latenten Tuberkulose- Infektionen. Worum geht es in Ihrer Forschung?

Wir fanden zusammen mit unseren Partnern in Seattle, USA, bei Mäusen heraus, dass diese nicht ein zweites Mal mit Tuberkulose infiziert werden konnten, wenn sie bereits latent erkrankt waren. Das brachte das Team auf eine gewagte Hypothese: Wir überlegten uns, ob eine latente Tuberkulose-Infektion sich entsprechend auch schützend bezüglich anderer Krankheiten auswirken könnte.

Wurde die Hypothese bestätigt?

Tatsächlich konnten wir nachweisen, dass sich Mäuse mit latenter Tuberkulose-Erkrankung nicht mit anderen Infektionskrankheiten anstecken. Mehr noch: Keine dieser Mäuse entwickelte eine Krebserkrankung.

Welches Ziel verfolgen Sie aufgrund der Erkenntnisse?

Fernziel wäre, Infektionskrankheiten heilen zu können, indem ein asymptomatisches, nicht krankmachendes Tuberkulose-Bakterium verabreicht und so das Immunsystem trainiert würde. Vor allem HIV steht hier im Fokus. Ende 2020 konnte dann auch das Forschungsteam der Schweizer HIV-Kohortenstudie erstmalig bei mit HIV infizierten Menschen und gleichzeitig latenter Tuberkulose- Infektion eine reduzierte HIV-Viruslast und weniger Infektionen mit anderen Erregern nachweisen. Wir stehen zwar noch ganz am Anfang. Aber es ist ein Ansatz, den zu verfolgen sich lohnt.

Silvan Manuel Vesenbeckh, MPH, Dr. med.

Oberarzt, Klinik für Pneumologie

Tel. +41 44 255 39 26

Johannes Nemeth, PD Dr. med. univ.

Oberarzt, Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene

Tel. +41 44 255 33 22
Spezialgebiete: Tuberkulose, HIV, bakterielle Infektionen

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