Eine Person alleine kann nichts ausrichten, das Team ist zentral. Es braucht aber den Willen jedes Einzelnen, voneinander zu lernen und stets nach der höchstmöglichen Qualität zu streben. Nach diesen Grundsätzen leitet Paul R. Vogt die Klinik für Herzchirurgie.
Paul Vogt, Sie sind in unruhigen Zeiten an Bord gekommen. Wie sieht die Situation heute aus?
Ich bin schon relativ zufrieden. Wir haben ein sehr gutes Team, ausgewogen und stabil, das alle Kompetenzen und Spezialgebiete abdeckt. Wichtig ist, dass es von den Assistenzärzten bis zum obersten Kader stimmt. Das ist heute der Fall. Dennoch: Es gibt noch einiges zu tun.
Können Sie das etwas ausführen?
Es braucht eine Art Pyramide. Auf jeder Stufe, vom Assistenzarzt bis zum Leitenden Arzt, sollte es eine abgestimmte Anzahl Mitarbeitende geben. Nur dann ist einerseits sichergestellt, dass wir genügend Nachwuchs ausbilden, aber auch, dass die Kaderärzte in ihren Spezialgebieten zum Zug kommen.
Die Pyramide ist aber zuoberst ziemlich breit. Mit Thierry Carrel haben Sie einen ehemaligen Chefarzt als Stellvertreter.
Das ist tatsächlich eine wohl ziemlich einmalige Situation und eine riesige Chance für das Herzzentrum und das USZ. Wir bringen beide sehr viel Erfahrung mit, die wir einsetzen wollen, um die nächste Generation fort- und weiterzubilden. Und um die Herzchirurgie am USZ wieder als national und international anerkanntes Zentrum zu etablieren.
Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitenden?
Jeder Einzelne muss bestrebt sein, eine möglichst hohe Qualität zu erbringen. Um dies zu erreichen, kann jeder von den Erfahrungen der anderen profitieren. Es sollen alle ihre Ideen einbringen, Fragen stellen und auch Kritik üben. Es zählt immer das beste Argument, Befindlichkeiten haben keinen Platz. Umgekehrt sollen die Mitarbeitenden wissen, dass immer jemand bereitsteht und sie unterstützt, wenn es Probleme gibt. Das gegenseitige Vertrauen ist mir ein grosses Anliegen.
Gespräche und Diskussionen brauchen aber auch Raum. Wie stellen Sie diesen im Alltag sicher?
Zwei Mal täglich besprechen wir die einzelnen Patientinnen und Patienten. Jeder Patient ist etwas anders, bringt andere Voraussetzungen mit. Deshalb kann man als Arzt nicht nur einer Guideline folgen, sondern muss stets das Individuum vor Augen haben. Wir haben eine riesige Bandbreite an Behandlungsmöglichkeiten. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir aufgrund der Indikationen für den einzelnen Patienten das jeweils beste Vorgehen wählen. Und es muss jeder und jede im Team verstehen, weshalb wir so vorgehen und nicht anders. Deshalb diese intensiven Besprechungen.
Was muss ein guter Herzchirurg mitbringen?
Ein guter Herzchirurg braucht ein breites Wissen über die eigentliche Herzchirurgie hinaus. Besonders wichtig sind Fächer wie Intensivmedizin, Kardiologie, Infektiologie oder medikamentöse Therapien. Nur so ist es möglich, die Patienten umfassend zu beurteilen und zu behandeln.
Und welche Eigenschaften braucht es?
Zentral sind aus meiner Sicht zwei: Entscheidungsfreudigkeit und Demut. In der Herzchirurgie geht es meist sehr schnell: Wir sehen rasch Erfolge – ebenso rasch kann man aber auch einen Misserfolg haben. Während einer Operation muss man manchmal unter Druck rasch eine Entscheidung treffen. Dies im Wissen, dass der Tod bei jeder Operation ein möglicher Ausgang ist. Das ist ein grosser Unterschied zu vielen anderen operativen Fächern. Das muss man aushalten können. Und gerade weil der Grat oft schmal ist, ist die Demut vor dem Leben und dem, was wir tun, so wichtig.
Der Tod ist immer ein möglicher Ausgang – die Aufklärung der Patientinnen und Patienten ist umso wichtiger.
Das ist richtig. Wir erklären den Patienten alle Möglichkeiten und sprechen dabei natürlich auch über die Risiken. Gerade bei schwierigen Entscheidungen sind eine umfassende Beratung und eine möglichst klare Empfehlung für die Patienten von zentraler Bedeutung.
Auch für das Personal ist es nicht einfach, Patienten zu verlieren. Wie gehen Sie damit um?
Wir haben hier am USZ viele sehr schwer kranke Patienten. Diese Menschen kommen hierher, weil es ihre letzte Chance ist. Das bedeutet, dass die Grundmortalität an einem USZ höher ist als in einem anderen Spital. Wenn eine Abteilung sehr viele Patienten mit einem hohen Risiko hat, dann ist das für das Team tatsächlich sehr belastend. Es braucht daher eine gute Durchmischung, es braucht auch Standardoperationen mit durchschnittlichen Risiken. Auf die Dauer ist das sonst fast nicht zumutbar.
Die grossen Herzoperationen werden aber auch seltener, viele Eingriffe können heute minimalinvasiv durchgeführt werden.
Das ist so. Die Möglichkeiten für minimalinvasive oder interventionelle Eingriffe sind heute viel grösser. Das ist vor allem bei sehr alten Patientinnen und Patienten ein grosser Glücksfall. Generell sehen wir, dass die Herzpatienten älter sind und meist eine ganze Reihe von Nebendiagnosen haben. Und oft sind Letztere bestimmend für das Vorgehen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir immer den Patienten als Ganzes betrachten und nicht nur auf eine einzelne Erkrankung, ein einzelnes Organ fokussieren. Aus demselben Grund ist die gute interdisziplinäre Zusammenarbeit so zentral. Keiner kann einen Patienten alleine behandeln, es braucht immer ein Team.
Sie selbst gehen auf die Pensionierung zu – was treibt Sie an?
Primär will ich eine Klinik mit einer Top-Reputation und internationaler Strahlkraft übergeben, mit tiefer Mortalität und tiefer Infektionsrate. Wir haben hervorragende Nachwuchschirurgen. Ihnen wollen Thierry Carrel und ich unser Wissen und unsere Erfahrung weitergeben. Und über unsere beiden Stiftungen auch die Möglichkeit, im Ausland Erfahrungen zu sammeln. Gerade in der internationalen Arbeit lernt man sehr viel und öffnet seinen Horizont.