Künstliche Intelligenz hält auch im Gesundheitswesen Einzug. Werden wir in Zukunft nur noch von Software und Robotern behandelt? Ganz im Gegenteil: Die neuen Technologien bieten die Chance, dass Fachpersonen sich mehr auf die Patientinnen und Patienten konzentrieren können.
Künstliche Intelligenz (KI) wird die Medizin revolutionieren, indem sie die Diagnose und Behandlung durch fortschrittliche Bildanalyse, Analytik und personalisierte Medizin beschleunigt. Sie wird Fachkräften im Gesundheitswesen leistungsstarke Werkzeuge an die Hand geben, um datengestützte Entscheidungen zu treffen und die Ergebnisse für die Patienten zu verbessern, während sie gleichzeitig Innovationen in der Arzneimittelentwicklung vorantreibt und die Abläufe im Gesundheitswesen optimiert.
Das sagt der auf künstlicher Intelligenz basierende Chatbot ChatGPT, wenn man ihn bittet, in zwei Sätzen zusammenzufassen, wie künstliche Intelligenz in Zukunft die Medizin verändern wird. Und wirklich weit entfernt ist er damit nicht von der Einschätzung des Spezialisten.
Daten als Basis
«Das ist aber auch nicht weiter erstaunlich», meint Guru Sivaraman, Direktor ICT des USZ. «Die Menge an Aussagen im Internet zu künstlicher Intelligenz in der Medizin dürfte mittlerweile ziemlich gross sein. Künstliche Intelligenz basiert immer auf den Daten, die ihr zur Verfügung stehen.» Und genau dort liegt das Problem für den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen. Patientendaten sind nicht frei verfügbar im Web. Das ist selbstverständlich richtig so. Um das Potenzial von künstlicher Intelligenz ausschöpfen zu können, braucht es aber möglichst grosse, qualitativ hochwertige Datensätze. «Heute fehlen uns in der Medizin strukturierte, auswertbare Daten sowie Plattformen für den einfachen Austausch. Ausserdem brauchen wir nicht nur Gesetzgebungen, um die Datensicherheit zu gewährleisten, sondern Regeln für die Zulassung und Überwachung von Algorithmen, die in der medizinischen Versorgung eingesetzt werden», erklärt Guru Sivaraman.
Viele Fragen …
Auch andere Herausforderungen spricht ChatGPT nicht an. Beispielsweise ethische Fragen: Wie sind Patienten zu informieren, wenn KI-Methoden eingesetzt werden? Wer ist schuld, wenn bei KI-unterstützten Diagnosen Fehler passieren? Wie gehen wir damit um, wenn Resultate von Algorithmen voreingenommen sind, weil beispielsweise Minderheiten in der Datenbasis nicht ausreichend vertreten sind? Das müsse diskutiert und geklärt werden, meint Guru Sivaraman.
… aber auch viele Chancen
«Doch bei allen Unklarheiten: KI und Daten haben ein riesiges Potenzial und werden die Zukunft des Gesundheitswesens massgeblich verändern. Medizin würde zugänglicher für alle Bevölkerungsgruppen – auch in der Prävention», ist er überzeugt. Zudem könnten die Auswirkungen des Fachkräftemangels entschärft werden. «Wir müssen Spezialistinnen dort einsetzen, wo es ihre Expertise braucht, in der Analyse der komplexesten Fälle oder direkt am Patienten. KI könnte quasi die Vorarbeit und repetitive administrative Arbeiten übernehmen und damit die Fachpersonen entlasten.» Auch das USZ beteiligt sich aktiv am digitalen Wandel und forscht im Bereich KI.
Von Maschinen lernen
Schlaganfälle sind in der Schweiz die dritthäufigste Todesursache. Susanne Wegener, Leitende Ärztin an der Klinik für Neurologie, und ihr Team möchten darum herausfinden, welche Menschen mehr und welche weniger von etablierten Behandlungen profitieren. Sie haben erforscht, wie zuverlässig KI Erfolgsprognosen machen kann und wie diese im Vergleich zu Prognosen von Fachpersonen abschneiden. Dazu haben sowohl der Computer als auch die Expertinnen klinische Faktoren und Befunde aus der Magnetresonanztomographie beurteilt, um anschliessend Einschätzungen
abzugeben, wie sie den Gesundheitszustand des Patienten in drei Monaten vorhersagen.
Dabei hat sich gezeigt, dass die Maschine durchaus mit den Prognosen der Menschen mithalten kann. Vor allem in der Bildanalyse erkannte KI mehr als die Fachpersonen. Was dieses Mehr genau ist, muss noch analysiert werden. «Viele Neurologinnen beurteilen vor allem die Grösse eines Schlaganfalls», erklärt Susanne Wegener, «die selbstlernende Software hat in den Daten aber auch andere Merkmale erkannt, die relevant für die Prognose zu sein scheinen.» Wünschenswert wäre, dass in Zukunft KI und ihre Erkenntnisse die behandelnden Ärztinnen unterstützen könnten. «Ersetzen wird sie uns nicht», ist Susanne Wegener überzeugt, «KI kann uns aber dabei unterstützen, die Erfolgsaussichten einer Therapie besser einzuschätzen und damit die Behandlungsqualität weiter zu optimieren.»
Mehr Zeit für Menschlichkeit
Rund 700 Alarme lösen die medizintechnischen Geräte bei einem Patienten auf der Intensivstation jeden Tag aus. Ein beträchtlicher Anteil davon sind Fehlalarme. «Eine Reduktion der Fehlalarme würde die Patientensicherheit erhöhen und die Fachpersonen entlasten», ist sich Emanuela Keller, ärztliche Leiterin der Neurochirurgischen Intensivstation, sicher. «So hätten diese mehr Luft, um für Patientinnen und Angehörige da zu sein.» Dabei helfen könnten die riesigen Mengen an Daten, die die Geräte erzeugen – jeden Tag bei jedem Patienten sind es Tausende Datenpunkte.
Doch welche dieser Daten sind relevant? Hier kommen Technologien wie Data Mining und künstliche Intelligenz ins Spiel. «Auf künstlicher Intelligenz basierende Algorithmen sollen uns helfen, die Daten so auszuwerten, dass wir voraussagen können, wie sich der Gesundheitszustand eines Patienten entwickeln wird. Und sie sollen uns therapeutische Empfehlungen geben können», erklärt Emanuela Keller. Um dies zu erreichen, erforschen sie und ihr Team, welche Datenmodelle dazu von Nutzen sein könnten. Dazu programmieren sie zurzeit einen weiteren Algorithmus. «Bisher sind die Vorhersagemodelle noch zu wenig validiert. Aber wir bleiben dran, zum Wohle der Patientinnen.»