Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind in Europa die häufigste angeborene Fehlbildung bei Kindern. Am USZ beginnt die Behandlung mit der Beratung der Eltern schon während der Schwangerschaft durch ein spezialisiertes Team.
„Eine Spaltenbildung wird häufig schon bei einer Ultraschalluntersuchung während der Schwangerschaft erkannt“, sagt Harald Essig, Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurg am USZ und Spezialist für die Behandlung von Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten. „Für die Eltern sind damit erst einmal Ängste und viele Fragen um ihr ungeborenes Kind verbunden. Deshalb sind Unterstützung und Beratung schon zu diesem Zeitpunkt wichtig.“ Am USZ arbeitet dafür ein erfahrenes Team aus Spezialisten und Spezialistinnen der Klinik für Geburtshilfe, der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und der Klinik für Neonatologie zusammen. Bei Bedarf wird auch eine Humangenetikerin zur Beratung beigezogen. „Wir treffen uns mit den Eltern zu einem Gespräch, in dem wir das erwartete Ausmass der Spaltbildung besprechen, Fragen beantworten und Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen. Denn alle Spaltenformen sind behandelbar mit einem sehr guten funktionellen und ästhetischen Ergebnis. Wir können damit viele Sorgen ausräumen. Umfassend informiert und unterstützt, können sich die Eltern schon während der Schwangerschaft emotional auf ihr Kind vorbereiten und der Geburt zuversichtlich entgegensehen“, so die Erfahrung von Harald Essig.
Eine der häufigsten Fehlbildungen
Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten gehören zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen in Europa. Etwa eines von 500 Kindern kommt mit einer Spalte zur Welt, Jungen sind etwas häufiger betroffen als Mädchen. Bei den Betroffenen sind Oberlippe, Oberkiefer und Gaumen teilweise oder komplett von einem Spalt durchzogen. Die Art und die Ausprägung der Fehlbildung können vorgeburtlich anhand spezieller, hochpräziser 3D-Ultraschallbilder beurteilt werden, fallweise werden zusätzlich Gentests gemacht, um abzuklären, ob Symptome weiterer Beeinträchtigungen vorliegen. Lippen-Kiefer-Gaumenspalten treten jedoch in der Regel als isolierte Fehlbildungen auf und sind nur in seltenen Fällen Teil eines genetischen Syndroms. Ein Teil ist familiär bedingt, also durch fehlerhafte Erbanlagen verursacht, andere sind spontane Fehlbildungen.
Ganz verschiedene Ausprägungen
Die unterschiedlichen Spaltformen können ein- oder beidseitig auftreten. Bei allen Formen sind die Ausprägungen individuell, je nach Ausprägung sind auch die funktionellen Störungen und Beeinträchtigungen durch die Spaltenbildung verschieden. Sie erschweren die Nahrungsaufnahme und können Atemschwierigkeiten bereiten. Durch die Fehlbildung selbst und auch durch Wachstumsstörungen, die nach den notwendigen chirurgischen Eingriffen auftreten können, kommt es häufig zu einer Fehlstellung der Zähne oder gar zu einer Unterentwicklung des Mittelgesichts. Ist der Weichgaumen betroffen, können Schwierigkeiten bei der sprachlichen Artikulation und Belüftungsstörungen des Mittelohrs auftreten. Das durch die Spalte veränderte Erscheinungsbild ist für die Betroffenen eine zusätzliche Belastung. Festgestellt wird eine Spalte, wenn nicht schon vorgeburtlich, in der Regel bei der Erstuntersuchung nach der Geburt. Lediglich eine submuköse, das heisst unter der Schleimhaut gelegene Gaumenspalte, wird mitunter erst vom Kinderarzt, von der Logopädin oder oft auch vom Kinderarzt bzw. Schulzahnarzt vermutet und erkannt, insbesondere dann, wenn ein Kind ungewöhnlich oft an Mittelohrentzündungen leidet.
Vom ersten Tag an in erfahrenen Händen
Die Behandlung einer Spalte kann – abhängig vom Ausmass – in mehreren Etappen bis zum Ende des Wachstums im jungen Erwachsenenalter dauern. „Das Ziel jedes Schrittes und beim Abschluss ist es, funktionelle Einschränkungen und Wachstumsstörungen zu vermeiden bei einem ästhetisch guten Ergebnis. Damit jedes Kind die beste Behandlung erfährt, setzt diese gleich nach der Geburt ein“, erläutert Harald Essig das Konzept am USZ. „Wird die Spaltenbildung erst nach der Geburt erkannt, wird spätestens dann eine Kieferchirurgin oder ein Kieferorthopäde beigezogen, um das Kind zu untersuchen. Dann bespricht das Behandlungsteam mit den Eltern die weiteren Schritte.“ Zuerst stehen praktische Fragen im Vordergrund, vor allem die Ernährung des Kindes. Das Stillen ist in den meisten Fällen möglich, vor allem, wenn lediglich eine Lippenspalte besteht. Auf Neugeborene mit Spaltbildungen spezialisierte Pflegefachfrauen und Hebammen leiten die Mütter dabei an. Der Kieferorthopäde fertigt bei Bedarf schon in den ersten Tagen eine Gaumenplatte an, die Mund- und Nasenhöhle trennt, als Saug- und Trinkhilfe dient, aber auch die Atmung erleichtert. Weil die Gaumenplatte schon in den ersten Lebenstagen eingesetzt wird, gewöhnen sich die Kinder rasch daran. „Die meisten Kinder können dann zusammen mit der Mutter nach wenigen Tagen nach Hause entlassen werden. Treten Probleme oder Fragen auf, können uns die Eltern jederzeit kontaktieren.“