Zentrale Lymphabflussstörungen

Von der Existenz unseres Lymphsystems spüren wir kaum etwas – meist nur bei einem schmerzhaft verdickten Lymphknoten am Hals oder bei einem Ödem mit angeschwollenem Arm oder Bein. Doch auch in inneren Bereichen des Körpers kann das Lymphsystem Probleme machen. Ein gestörter Abfluss von Lymphflüssigkeit in zentralen Körperteilen kommt zwar nur selten vor, kann für die Betroffenen aber schwerwiegend sein – und im Extremfall sogar tödlich enden. Ärztliche Erfahrung ist deshalb bei einer zentralen Lymphabflussstörung besonders wichtig, damit eine rechtzeitige Diagnose sowie die richtige Therapie erfolgen kann.

Was sind Lymphabflussstörungen?

Jeder weiss, dass es in unserem Körper mit Blut gefüllte Adern gibt. Auch wie diese Blutgefässe genannt werden, ist vielen Menschen geläufig – die Arterien führen vom Herzen weg in den Körper, die Venen führen zurück zum Herzen. Weniger bekannt ist, dass wir ein zweites Netzwerk besitzen: das lymphatische System, kurz Lymphsystem genannt. Als wichtiger Teil des Immunsystems produziert es Abwehrzellen gegen Krankheitserreger. Sie werden in einer wässrigen, leicht trüben Körperflüssigkeit transportiert, die Lymphe heisst.

Wenn dieser Transport – der Lymphabfluss – gestört ist, kann es zu Schwellungen, Entzündungen und anderen Beschwerden kommen. Verschiedene Therapiemöglichkeiten sollen bei einer Lymphabflussstörung dafür sorgen, dass die angestaute Lymphe wieder ungestört fliessen kann.

Wie funktioniert das Lymphsystem?

Anders als das Blutsystem bildet das Lymphsystem keinen Kreislauf. Es ist kein geschlossenes System, sondern hat einen Anfang und ein Ende. Das netzartige, weit verzweigte Gebilde besteht aus dünnen Äderchen oder Bahnen, die Lymphgefässe heissen. An ihrem Beginn, an verschiedenen Stellen im Körpergewebe, sind diese Bahnen noch sehr fein und werden Lymphkapillare genannt. Später nimmt der Durchmesser der Lymphgefässe zu.

In den Lymphgefässen fliesst die Lymphflüssigkeit (Lymphe), die sich in Richtung des Herzens bewegt. Das Herz selbst sorgt als kräftige Pumpe zwar für den Blutfluss, nicht aber für den Transport der farblosen Lymphe. Sie bewegt sich eher langsam und wird unter anderem von Bewegungen der Skelettmuskulatur und durch Druckunterschiede beim Atmen angetrieben.

Die Lymphefässe der Arme, Beine und des Kopfes bilden das periphere Lymphsystem. Diese Lymphgefässe münden im tief Körperinneren neben der Wirbesäule in das zentrale Lymphsystem, welches im Bauchraum zusätzlich die Lymphe der Organe aufnimmt. Fette und Eiweisse, die im Darm resorbiert werden, färben die Lymphe im Bauchraum weisslich und die Flüssigkeit wird dann als Chylus bezeichnet.

Lymphknoten sind die Putzterminals der Lymphflüssigkeit

An mehreren Stellen ist das Lymphsystem unterbrochen – von millimeterkleinen bis zentimetergrossen Lymphknoten, von denen es im Körper insgesamt einige hundert gibt. In ihrem Inneren wird die Lymphflüssigkeit gefiltert und gereinigt, denn sie enthält Zellreste, Bakterien, Giftstoffe und andere Abfälle, die der Körper nicht braucht.

Diese Reinigungsarbeiten in den Lymphknoten erledigen Abwehr- und Fresszellen, zum Beispiel Lymphozyten, die zu den weissen Blutkörperchen gehören. Sie neutralisieren oder vernichten alle unerwünschten Fremdkörper in der Lymphe.

Lymphatische Organe produzieren Abwehrzellen

Die Lymphozyten entstehen, reifen und vermehren sich nicht in den Lymphknoten, sondern an bestimmten Stellen im Körper, die lymphatische Organe genannt werden. Hierzu gehören unter anderem das Knochenmark, die Milz, die Thymusdrüse sowie die Rachenmandeln (Tonsillen).

Am Ende, in der Nähe des Herzens, münden alle Lymphbahnen in grosse Venen; darunter auch das grösste Lymphgefäss des Körpers mit der medizinischen Bezeichnung Ductus thoracitus. Mit Eintritt in die Venen gehen die gereinigte Lymphe und die in ihr enthaltenen Lymphozyten ins Blut über.

Damit diese umfangreiche und wirkungsvolle Kläranlage unseres Körpers reibungslos funktionieren kann, muss die Lymphflüssigkeit ungestört fliessen können und möglichst in ständiger Bewegung bleiben. Täglich sind es etwa zwei bis vier Liter Lymphe, die durch die Lymphgefässe transportiert werden.

Defekte Lymphbahnen können zu gesundheitlichen Schäden führen

Wird eine Lymphbahn verletzt, entsteht ein Leck (medizinisch Lymphleckage genannt), aus dem Lymphe austritt und in das umliegende Gewebe eindringt. Hier verschafft sich die Lymphflüssigkeit Platz, indem sie eine Schwellung verursacht, ein sogenannte Lymphocele oder Serom. Kommt es zum Stau der Lymphflüssigkeit entweder durch eine angeborene Fehlbildung des Lymphsystems oder den Unterbruch der Lymphabflusses z.B. durch eine Operation kommt es zur Bildung eines Lymphödems.

Die durch die Leckage ausgetretene Lymphe kann auch in einen körpereigenen Hohlraum eindringen; in diesem Fall spricht man von einem Erguss. Eine weitere Lymphabflussstörung entsteht, wenn eine Lymphbahn gequetscht oder anderweitig blockiert wird und dadurch ein Lymphstau entsteht.

In all diesen Fällen bewirkt die Lymphabflussstörung, dass es in dem betroffenen Körperteil zu einer Ansammlung von Flüssigkeit kommt. Kann sie für längere Zeit nicht abfliessen, sind meist gesundheitliche Schäden die Folge.

Ödeme bilden sich relativ häufig an einem Arm oder Bein. Neben solchen Beeinträchtigungen an den Extremitäten kann angestaute Lymphe in selteneren Fällen aber auch im Zentrum des Körpers zu gesundheitlichen Problemen führen. Dann spricht man von einer „zentralen“ Lymphabflussstörung.

Chylothorax und Chylakos

Beim Chylothorax sammelt sich Chylus, eine milchig-weisse Flüssigkeit aus dem Lymphsystem, im Brustkorb an. Tritt dieses im Bereich des Bauchraumes auf, spricht man von Chylaskos. Diese Flüssigkeit besteht hauptsächlich aus Fett, Proteinen und Lymphozyten und wird normalerweise über den Ductus thoracicus in den Blutkreislauf transportiert. Ursachen können Verletzungen des Ductus thoracicus, Tumore, Infektionen oder angeborene Fehlbildungen sein.

Die Behandlung hängt von der Ursache ab und reicht von konservativen Massnahmen wie Diätumstellungen und Drainagen bis hin zu chirurgischen Eingriffen. In manchen Fällen können auch interventionelle radiologische Verfahren oder Medikamente zur Förderung der Chylusresorption eingesetzt werden.

Proteinverlust-Enteropathie

Proteinverlust-Enteropathie (PLE) ist ein medizinisches Syndrom, bei dem Proteine über den Darm verloren gehen, was zu einem Mangel im Körper führt. Da Proteine essentielle Bausteine für viele Körperfunktionen sind, kann ihr Verlust schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen haben. Ursächlich können neben entzündlichen Darmerkrankungen auch oft zentrale Lymphabflussstörungen des Darmes sein.

Die Behandlung von PLE konzentriert sich auf die Bekämpfung der Grunderkrankung und die Wiederherstellung des Proteinspiegels im Körper durch eine angepasste Ernährung und gegebenenfalls Rekonstruktion des zentralen Lymphabflusses.

Ursachen: Wie entsteht eine zentrale Lymphabflussstörung?

Nicht immer lässt sich feststellen, wodurch eine zentrale Lymphabflussstörung entstanden ist. Angeborene Fehlbildungen des Lymphsystems können schon Säuglinge und Kinder betreffen. Auch Verletzungen kommen als Ursache infrage; sie können zum Beispiel versehentlich bei einem chirurgischen Eingriff entstehen.

Eine weitere mögliche Ursache für einen gestörten Lymphabfluss in zentralen Körperbereichen sind andere Erkrankungen. Gleich mehrere davon können einen Chylothorax entstehen lassen:

  • Lymphangioleiomyomatose (LAM). Bei der Entstehung dieser seltenen Lungenkrankheit sind Gene und Hormone beteiligt; fast nur Frauen sind betroffen. Ein Chylothorax kann als Folge auftreten.
  • Die Gorham-Stout-Krankheit (GSD) ist eine sehr seltene Erkrankung, bei der sich Lymphgefässe unnatürlich vergrössern und Knochen zerstört werden.

Für die Entstehung einer Chylaszites kommen zum Beispiel chirurgische Eingriffe, Tumoren sowie Verletzungen oder Verengungen des Lymphsystems im Bauchraum infrage.

Ursache für einen Perikarderguss können unter anderem Verletzungen und Fehlbildungen des Lymphsystems sein. In etwa der Hälfte der Fälle bleibt die Ursache für ein Chyloperikard aber unklar. Häufig tritt es zusammen mit einem Chylothorax auf.

Als Ursache für die intestinale Lymphangieektasie kommen unter anderem eine angeborene Fehlbildung der Lymphgefässe infrage, aber auch Magen-Darm-Infekte, Darmentzündungen oder Tumoren.

Diagnose: Wie erkennt man eine zentrale Lymphabflussstörung?

Um festzustellen, ob ein gestörter Abfluss der Lymphflüssigkeit die Ursache für gesundheitliche Beschwerden ist, nutzen Ärztinnen und Ärzte verschiedene Verfahren. Diese ermöglichen genauere Informationen über die Lymphgefässe und Lymphknoten in der betroffenen Körperregion. Bei einer zentralen Abflussstörung liegen die verdächtigen Lymphbahnen und -knoten meist in tiefer gelegenen Körperregionen. Anders als etwa Lymphknoten am Hals sind sie schwer zugänglich und lassen sich nicht ertasten.

Moderne diagnostische Möglichkeiten ermöglichen jedoch auch Einblicke in zentrale Teile des Lymphsystems:

  • Die konventionelle Lymphographie (auch Lymphangiographie genannt) macht Lymphgefässe und Lymphknoten mithilfe von Röntgenstrahlen sichtbar. Bei diesem bildgebenden Verfahren wird ein Farbstoff oder ein Kontrastmittel in die Lymphbahn gegeben. Damit kann man erkennen, ob – oder an welcher Stelle – sich die Lymphflüssigkeit staut.
  • Die Magnetresonanz-Lymphangiographie (MR-Lymphangiographie) ist ein modernes Verfahren, das ohne Röntgenstrahlen auskommt. Es stellt ebenfalls die Lymphgefässe und Lymphknoten dar und macht Störungen im Lymphabfluss sichtbar. Besonders genau ermöglicht das die dynamische MR-Lymphangiographie: Im Gegensatz zu den Einzelaufnahmen einer statischen Angiographie zeigen hier zahlreiche und in kurzen Abständen aufgenommene („dynamische“) Bilder die Fliessgeschwindigkeit und Richtung der Lymphflüssigkeit – und damit mögliche Störungen im Lymphabfluss.

Therapie: Wie werden Lymphabflussstörungen behandelt?

Zu Beginn wird versucht, mit Medikamenten oder einer bestimmten Diät den Lymphfluss zu regulieren. Leckagen können manchmal verschlossen werden, indem man sie verödet. In vielen Fällen hilft aber nur eine Operation, um eine zentrale Lymphabflussstörung wirksam zu therapieren. Doch das tief im Körper liegende Operationsgebiet lässt sich nur schwer erreichen, und die Lymphgefässe sind winzig – manchmal beträgt ihr Durchmesser nur einen halben Millimeter.

Mit herkömmlichen Instrumenten ist eine Operation am zentralen Lymphsystem also sehr schwierig. Im Universitätsspital Zürich (USZ) setzen wir daher auch einen Mikrochirurgie-Roboter ein, um Eingriffe am zentralen Lymphsystem vorzunehmen. Dieser Eingriff wurde 2023 weltweit erstmalig am USZ durchgeführt. Mit Erfolg: Der Roboter mit dem Namen Symani ist in der Lage, mit seinen mikrochirurgischen Instrumenten in tiefere Körperregionen vorzudringen und dort mit hoher Präzision zu arbeiten.

Robotische Chirurgie am USZ

Ob mit Roboter-Unterstützung oder auf herkömmliche Art – in der Lymph-Chirurgie nutzen die Ärztinnen und Ärzte mikrochirurgische Techniken, die manchmal auch miteinander kombiniert werden:

  • Lymphovenöse Anastomose (LVA). Hierbei wird versucht, eine direkte Verbindung zwischen Lymphgefäss und Vene herzustellen. So kann die Lymphflüssigkeit über das zentrale Venensystem abfliessen, und der Lymphstau löst sich auf. Gestörte Lymphabflusswege werden auf diese Weise umgangen.
  • Vaskularisierter Lymphknotentransfer (VLNT). Hierbei werden funktionierende (vaskularisierte, d. h. mit Blut versorgte) Lymphknoten von einer leicht zugänglichen Stelle des Körpers entnommen, zum Beispiel aus der Achselhöhle. Die Chirurgin oder der Chirurg versetzt die Lymphknoten zu einer Stelle, an der eine Lymphabflussstörung besteht, damit sie hier ihre Arbeit aufnehmen.

Lymphchirurgie Spezialsprechstunde

In der Sprechstunde werden die Möglichkeiten rekonstruktiver lymphchirurgischer Eingriffe bei verschiedenen lymphatischen Erkrankungen wie z.B. Lymphödem, Chylothorax und Serom abgeklärt. Ziel ist es, durch detaillierte Untersuchungen und Beratung die bestmögliche Behandlung für die individuelle Situation des Patienten, der Patientin zu bestimmen.

Tel. +41 44 255 27 38

Anmeldung und Auskunft: 7.30 – 16.30 Uhr

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