Es wird unterschieden zwischen primären, also angeborenen Immundefekten und sekundären, erworbenen Abwehrschwächen – zum Beispiel infolge von Krankheiten des blutbildenden Systems oder unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen. Es gibt eine Vielzahl verschiedener Immundefekte, deren Einordnung eine Herausforderung darstellen kann. Das Hauptsymptom bei allen Immundefekten sind wiederholt auftretende Infektionskrankheiten, mit je nach Ausprägung des Immundefekts langen oder schweren Verläufen. Die Behandlung hängt von der Art und Ausprägung der Immunschwäche ab. Zum Einsatz kommen verschiedene Medikamente und in besonders schweren Fällen kann eine Blutstammzelltransplantation indiziert sein.
Überblick: Was ist ein Immundefekt?
Ein Immundefekt bedeutet, dass ein Teil des Immunsystems nicht ausreichend funktionstüchtig ist. Betroffene Menschen sind nicht dazu in der Lage, sich gegen infektiöse Erreger wie Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten angemessen zur Wehr zu setzen.
Immundefekte – primär oder sekundär
Imundefekte können wie folgt eingeteilt werden:
- Primärer Immundefekt: Die Erkrankung ist angeboren, die Veranlagung zur Infektanfälligkeit besteht also bereits beim Neugeborenen. Allerdings zeigen sich die Symptome nicht immer unmittelbar nach der Geburt, sondern oft erst im späteren Leben.
- Sekundärer Immundefekt: Häufiger erwirbt ein Mensch die Immunschwäche im Lauf des Lebens. Ursache hierfür können zum Beispiel Tumorerkrankungen, Infektionen (z. B. HIV) oder Medikamente die das Immunsystem unterdrücken sein.
Bemerkbar macht sich die Abwehrschwäche in der Regel mit wiederholt auftretenden, oftmals hartnäckiger und länger als gewöhnlich verlaufenden Infektionskrankheiten. Krankheitserreger haben leichtes Spiel, wenn das Immunsystem des Organismus nicht richtig funktioniert.
Primäre Immundefekte – viele verschiedene Krankheitsbilder
Die Mehrzahl der primären Immundefekte wird vererbt. Eltern geben die fehlerhaften Gene also an ihre Kinder weiter. Bis heute sind mehr als 350 Krankheitsbilder bekannt, die zu den primären Immundefekten gezählt werden. Sie können verschiedene Teile des Immunsystems betreffen, etwa die verschiedenen Untergruppen der weissen Blutkörperchen wie Lymphozyten oder Fresszellen, Antikörper oder das Komplementsystem.
Einige Beispiele:
- Kombinierte T- und B-Zell-Defekte: Schwerer kombinierter Immundefekt (Severe Combined Immunodeficiency, SCID)
- Immundefekte, bei denen ein Antikörpermangel im Vordergrund steht: Hypogammaglobulinämie, Agammaglobulinämie, Variables Immundefektsyndrom (CVID), IgG-Subklassenmangel und IgA-Mangel
- Defekte der Phagozytenzahl und -funktion (Fresszellen): Septische/Chronische Granulomatose (CGD), Schwere chronische Neutropenie
- Andere Immundefekte: z.B. Autoinflammatorische Syndrome, DiGeorge-Syndrom, Wiskott-Aldrich-Syndrom, Ataxia Teleangiectasia /Louis-Bar-Syndrom
Die Behandlung ist von Immundefekt zu Immundefekt unterschiedlich. Zum Einsatz kommen zum Beispiel die vorsorgliche Abschirmung gegen Infektionen, zum Beispiel mit Antibiotika oder anderen Antiinfektiva. Bei einem Antikörpermangel werden Immunglobulininfusionen angewendet. Bei sehr schweren Immundefekten kann eine Stammzelltransplantation angezeigt sein. Eine Blutstammzelltransplantation wird am USZ von einem interdisziplinären Expertenteam mit Vertreterinnen und Vertretern aus den Bereichen Hämatologie, Pädiatrie, Infektiologie und Immunologie durchgeführt.
Immundefekt – Häufigkeit und Alter
Angeborene Immundefekte sind selten. In der Schweiz ist ungefähr eine von 1’000 Personen von einer milderen Form eines angeborenen Immundefektes betroffen. An einer schweren Form erkrankt etwa eine von 10’000 Personen. Sekundäre Immundefekte sind dagegen häufiger.
Immundefekte können sich im Kindes- und Jugendalter bemerkbar machen, aber auch erst im Erwachsenenalter manifest werden. Bei primären Immundefekten sind bis zu 50 Prozent der Patientinnen und Patienten bei der Diagnose über 25 Jahre alt.
Immundefekt: Ursachen sind angeboren oder erworben
Das Immunsystem besteht aus verschiedenen Systemen, die einander bei der Arbeit ergänzen. Dazu gehören die weissen Blutzellen, Fresszellen, Abwehrstoffe (Immunglobuline) und das Komplementsystem. Letzteres besteht aus mehr als 25 Eiweissen, die im Blutplasma zirkulieren und ein wichtiger Teil des angeborenen Abwehrsystems darstellen. Der Immundefekt kann eines oder mehrere dieser Systeme betreffen.
Primäre Immundefekte: Ursachen
Die Ursache für primäre Immundefekte liegt in den Genen, die Erkrankung wird also meistens vererbt. Manchmal tritt die Genveränderung jedoch auch spontan im Verlauf des Lebens auf.
Sekundäre Immundefekte: Ursachen
In diesem Fall wird ein Mensch nicht mit der Immunschwäche geboren, sondern er erwirbt sie im Lauf seines Lebens. Die Ursachen können verschieden sein:
- Tumorerkrankungen, besonders des blutbildenden Systems wie Leukämie oder Lymphdrüsenkrebs
- Infektionen (z. B. HIV, Masern)
- Medikamente, z. B. Immunsuppressiva (Arzneien, die das Immunsystem unterdrücken, etwa nach einer Organtransplantation), Zytostatika (Chemotherapie bei Krebs), Glukokortikoide (z. B. Kortison, das Entzündungen dämpft und das Immunsystem bremst)
Symptome: Immundefekt ruft Infektionen hervor
Die Symptome bei einem Immundefekt hängen davon ab, welche Art von Immunschwäche vorliegt und wie schwer diese ausgeprägt ist. Manche Betroffene verspüren nur milde oder keine Symptome, sodass erst im Erwachsenenalter der Verdacht geäussert wird. In anderen Fällen zeigt sich der Immundefekt dagegen schon früh. Sie haben sehr schwere und ernsthafte Symptome, die sogar lebensbedrohlich sein können.
Das wichtigste Symptom bei einem primären und sekundären Immundefekt ist die erhöhte Anfälligkeit für Infektionen. Wenn die Schlagkraft des Immunsystems herabgesetzt ist, haben Krankheitserreger wie Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten leichteres Spiel. Sie dringen in den Körper ein, vermehren sich und rufen Beschwerden hervor. Dazu gehören zum Beispiel Fieber, Husten, Übelkeit und Erbrechen oder Durchfall.
- Typisch bei einem Immundefekt ist, dass die Infektionen häufiger auftreten,
- länger andauern,
- schwerer verlaufen und öfters mit Komplikationen verbunden sind.
Ärztinnen und Ärzte haben verschiedene Kriterien für Kinder und Erwachsene entwickelt, die als Alarmsignale für einen primären Immundefekt gelten. Erschwerend kommt dazu, dass Immundefekte oft nicht allein, sondern gepaart mit Autoimmunreaktionen auftreten.
Angeborener Immundefekt bei Kindern: Zehn Warnsignale und Symptome
- Zwei oder mehr Lungenentzündungen jährlich
- Zwei oder mehr schwere Nasennebenhöhlenentzündungen oder über acht Mittelohrentzündungen pro Jahr
- Zwei oder mehr schwere Infektionen jährlich, z. B. Hirnhaut- und Knochenmarksentzündungen
Permanente Beläge im Mund durch Pilze oder Befall anderer Hautstellen nach dem ersten Lebensjahr
- Wiederkehrende Infektion mit Erregern, die normalerweise harmlos sind, etwa atypische Mykobakterien
- Wiederholte tiefe Haut- und Organabszesse (Eiteransammlungen) oder chronische Rötungen an den Händen und Füssen von Babys
- Einnahme von Antibiotika, die auch nach zwei Monaten keine wesentliche Besserung erbringen
- Primäre Immundefekte in der Familie
- Erkrankungen, die nach Lebendimpfungen auftreten, etwa gegen Masern, Windpocken, Kinderlähmung oder Rotaviren
- Gedeihstörungen – geringes Wachstum und Körpergewicht
Primärer Immundefekt bei Erwachsenen: Sechs Warnsignale und Symptome
- Vier oder mehr Infektionen pro Jahr, die Ärztinnen und Ärzte mit Antibiotika behandeln mussten. Beispiele: Mittelohrentzündung, Bronchitis, Nasennebenhöhlenentzündung oder Lungenentzündung
- Wiederkehrende Infektionen oder eine lange Behandlung mit Antibiotika bei einem Infekt
- Zwei oder mehr schwere bakterielle Infektionen, z. B. Knochenmarkentzündung, Hirnhautentzündung, Blutvergiftung
Zwei oder mehr Lungenentzündungen innerhalb von drei Jahren, die eine Radiologin oder ein Radiologe diagnostiziert hat
- Infektion mit einem ungewöhnlichen Erreger oder an einer seltenen Stelle
- Primärer Immundefekt in der Familie
Suchen Sie bei solchen Symptomen immer eine Ärztin oder einen Arzt auf. Es könnte ein primärer Immundefekt dahinterstecken.
Immundefekt: Diagnose bei uns
Die Diagnose eines Immundefekts ist auch für Ärztinnen und Ärzte nicht ganz einfach. Denn gerade primäre Immundefekte umfassen eine Vielzahl an verschiedensten Erscheinungsbildern, die nicht immer leicht einzustufen sind. Dazu kommt die enorme Anzahl an möglichen Ursachen. Ausserdem sind primäre Immundefekte vergleichsweise selten. So haben viele Ärztinnen und Ärzte kaum im Praxisalltag mit ihnen zu tun und wenig Erfahrung damit. Viele Betroffene erhalten die Diagnose „Immunschwäche“ daher erst spät. Das USZ verfügt mit der Klinik für Immunologie über das notwendige Fachwissen. Die erste Anlaufstelle soll eine Immunologin oder ein Immunologe sein. Je nach Beschwerden können Sie auch Ihre Hausärztin oder Ihren Hausarzt aufsuchen. Ebenfalls kommen Lungenspezialistinnen, Lungenspezialisten, HNO-Ärztinnen und –Ärzte oder Kinderärztinnen und Kinderärzte in Frage.
Die Diagnose eines Immundefektes beginnt immer mit der Krankengeschichte (Anamnese). Wir stellen Ihnen oder den Eltern zum Beispiel folgende Fragen:
- Welche Symptome treten auf?
- Seit wann bestehen die Beschwerden?
- Wie intensiv sind sie ausgeprägt?
- An welchen Stellen des Körpers zeigen sich die Symptome?
- Sind häufigere Infektionen bekannt? Welche (z. B. Mittelohr-, Nasennebenhöhlen- oder Lungenentzündung)? Wie oft pro Jahr?
- Haben Sie oder Ihr Kind längere Zeit Antibiotika eingenommen, die nicht genügend wirksam waren?
- Sind Grunderkrankungen bekannt, zum Beispiel eine Allergie, atopische Erkrankung oder Autoimmunerkrankung?
- Gibt es Immundefekte in der Familie?
- Nehmen Sie oder Ihr Kind regelmässig Medikamente ein? Wenn ja: Welche (z. B. Immunsuppressiva, Glukokortikoide) und seit wann?
Wir orientieren sich bei Ihren Fragen am Kriterienkatalog der Warnzeichen für Kinder und Erwachsene.
Auch das Kürzel „ELVIS“ bietet uns Hilfestellung bei der Diagnose eines Immundefekts:
- E = Erreger: Infektionen mit ungewöhnlichen Erregern, z. B. Lungenentzündung durch den Pilz Pneumocystis jirovecii oder das Cytomegalievirus (CMV), Blutvergiftung durch Candida (Hefepilze), Darm- oder Gallenwegsinfektion durch Kryptosporidien oder Mikrosporidien (beide sind einzellige Parasiten)
- L = Lokalisation: Infektionen, die verschiedene Körperstellen betreffen oder häufiger den Ort wechseln. Auch untypische Lokalisationen geben Hinweise. Beispiele: Hirnabszess durch Schimmelpilze (Aspergillus spp.) oder Leberabszess durch Staphylokokkus aureus.
- V = Verlauf: Ein langwieriger Verlauf von Infektionen oder, wenn die Behandlung mit Antibiotika nicht anschlägt, können für die Diagnose wichtig sein. Auch Komplikationen nach Lebendimpfungen mit einem abgeschwächten Erreger liefern Hinweise, z.B. eine Masern-Mumps-Röteln-, Windpocken- oder Rotavirus-Impfung.
- I = Intensität: Schwere „Major-Infektionen“ sind Lungen- und Hirnhautentzündungen, Blutvergiftungen oder Knochen- und Knochenmarksentzündungen. Als „Minor-Infektionen“ gelten dagegen Mittelohr- und Nebenhöhlenentzündungen, Bronchitis oder oberflächliche Hautabszesse. Bei einem primären Immundefekt kommen Major-Infektionen häufiger vor.
- S = Summe – Anzahl der Infektionen. Sie müssen in einer Röntgenuntersuchung diagnostiziert worden sein.
Das Kürzel „GARFIELD“ hilft uns bei der Diagnose eines angeborenen Immundefektes, wenn keine erhöhte Infektanfälligkeit besteht, aber sie trotzdem den Verdacht darauf haben:
- G = Granulome (Knötchen im Gewebe)
- A = Autoimmunität – der Körper ist nicht fähig, seine Bestandteile als „körpereigen“ zu erkennen und stuft sie als „fremd“ ein
- R = rezidivierendes (wiederkehrendes)
- F = Fieber
- E = ungewöhnliche Ekzeme
- L = Lymphoproliferation (Überschuss an Lymphozyten)
- D = chronische Darmentzündung
Immundefekt diagnostizieren: Weitere Untersuchungen
Meist schliesst sich eine körperliche Untersuchung an, bei der wir den Zustand verschiedenster Organsysteme prüft. Beispiele sind:
- Haut, Schleimhäute
- Haare, Nägel
- Knochen, Zähne
- Atemwege
- Herz und Gefässe
- Magen-Darm-Trakt
In manchen Fällen ist eine molekulargenetische Untersuchung hilfreich, um veränderte Gene zu erkennen. Vor einem Gentest steht jedoch immer eine ausführliche Beratung.
Immundefekt: Vorbeugen, Früherkennung, Prognose
Einem angeborenen Immundefekt können Sie nicht vorbeugen, weil hier die Gene eine wesentliche Rolle spielen. Und diese können Sie nicht beeinflussen. Manchmal sind die Ursachen auch noch nicht bekannt, weshalb vorbeugende Massnahmen nicht greifen würden.
Auch bei sekundären Immundefekten ist eine Vorbeugung kaum möglich. Denn oft sind andere Erkrankungen wie Tumoren und Infektionen oder die Einnahme von Medikamenten die Ursachen.
Spezielle Massnahmen zur Früherkennung eines Immundefekts sind nicht bekannt. Ärztinnen und Ärzte diskutieren ein Neugeborenen-Screening, um besonders schwere Fälle von angeborenen Immundefekten rechtzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln. Dazu gehört zum Beispiel der Schwere kombinierte Immundefekt (SCID), der ohne Therapie rasch tödlich endet.
Ansonsten gilt der allgemeine Ratschlag: Suchen Sie selbst oder mit Ihrem Kind immer eine Ärztin oder einen Arzt auf, wenn häufige Infektionen auftreten, die noch dazu langwierig sind und schwer verlaufen.
Verlauf und Prognose bei Immundefekt
Der Verlauf und die Prognose bei einem Immundefekt lassen sich nicht allgemein vorhersagen. Es spielt eine Rolle, welche Art von Immundefekt vorliegt und wie stark er ausgeprägt ist. Der Verlauf kann individuell sehr verschieden sein, denn manchmal bleiben noch Restfunktionen des Immunsystems erhalten. Der Körper kann sich in diesem Fall bis zu einem gewissen Mass gegen Krankheitserreger zur Wehr setzen und der Verlauf ist weniger schwerwiegend.
Ausserdem lassen sich manche Immundefekte, etwa ein Antikörpermangel, gut behandeln. Dann ist die Prognose günstig. Heilbar sind primäre Immundefekte aber bisher nicht.
Manche angeborenen Immundefekte sind so schwer, dass sie schnell lebensbedrohlich werden und ohne rasche Behandlung tödlich verlaufen. Die schwerste Ausprägung der angeborenen Immunschwäche ist der Schwere kombinierte Immundefekt (SCID). Ohne eine Knochenmarkstransplantation erleiden Babys lebensgefährliche Infektionen und überleben oft das erste Lebensjahr nicht.
Bei sekundären Immundefekten beeinflusst die zugrundeliegende Erkrankung (z.B. Krebs, HIV/Aids) den Verlauf und die Prognose massgeblich. Davon hängen auch die Überlebenschancen ab.
Immundefekt: Behandlung hängt von der Art und Ausprägung ab
Die Behandlung eines Immundefekts richtet sich nach der Art und Schwere der Immunschwäche. Wichtig ist immer, dass Ärztinnen und Ärzte die Erkrankung behandeln, die mit Immundefekten Erfahrung haben. Das USZ verfügt mit der Klinik für Immunologie über das notwendige Fachwissen. Bei Bedarf werden Spezialistinnen und Spezialisten aus anderen Fachrichtungen wie z.B. Innere Medizin beigezogen. Heilbar ist ein angeborener Immundefekt bislang nicht. Aber es gibt mehrere Behandlungsmöglichkeiten, die wir auch manchmal miteinander kombinieren.
Details zu den Behandlungen