Hereditäres Angioödem

HAE

Ein hereditäres Angioödem (HAE) ist eine vererbte Erkrankung. Typisch sind Schwellungsattacken, welche die Haut und die Schleimhaut betreffen können.

Überblick: Was ist ein hereditäres Angioödem?

Ein hereditäres Angioödem (HAE) ist eine seltene Erkrankung. Das Wort „hereditär“ bedeutet „vererbt“. Typisch bei HAE sind Flüssigkeitseinlagerungen und Schwellungen (Ödeme) der Unterhaut. Sie treten in Attacken auf, können mehrere Tage anhalten und klingen dann spontan ab.

Die Ödeme können unterschiedlichste Körperregionen betreffen. Meist zeigen sie sich im Gesicht, an den Händen, Armen, Beinen und Füssen oder im Magen-Darm-Trakt. Seltener betreffen die Schwellungen den Kehlkopf, aber dann wird es lebensgefährlich, denn die Ödeme können zur Atemnot und zum Ersticken führen. Bei Menschen mit HAE ist dies eine häufige Todesursache.

HAE – Typen

Ärztinnen und Ärzte kennen mehrere Formen des HAE:

  • HAE Typ I: Die Leber produziert zu geringe Mengen an C1-Inhibitor und Betroffene haben einen Mangel im Blut. Mit rund 85 Prozent ist dies der häufigste Typ.
  • HAE Typ II: Der C1-Hemmstoff ist zwar in genügenden Mengen im Blut vorhanden, aber er ist nicht ausreichend funktionstüchtig. HAE Typ II ist für zirka 15 Prozent der Fälle verantwortlich.
  • HAE Typ III: Dieser Typ ist äusserst selten und betrifft andere Gene. Die Menge und Funktion des C1-Hemmstoff sind hier normal. Es erkranken fast nur Frauen.

Hereditäres Angioödem – Häufigkeit und Alter

Die Häufigkeit des hereditären Angioödems ist nicht genau bekannt. Sie ist jedoch eine seltene Erkrankung. Expertinnen und Experten schätzen, dass weltweit 1 von 50’000 Menschen von HAE betroffen sind. In Europa leben schätzungsweise 10’000 bis 50’000 Menschen mit dieser Erkrankung, in der Schweiz geht man von circa 160 Betroffenen aus.

Da das HAE eine sehr seltene Erkrankung ist, wird die Diagnose oft spät gestellt und manche Betroffene erhalten zunächst eine andere Diagnose.

Meist zeigen sich die ersten Schwellungsanfälle im ersten oder zweiten Lebensjahrzehnt, manchmal auch später. Aber auch Babys und Kleinkinder können schon Anzeichen des HAE entwickeln. Im Schnitt beginnt die Erkrankung um das elfte Lebensjahr herum. Jungen, Mädchen, Männer und Frauen erkranken etwa gleich oft.

Hereditäres Angioödem: Ursachen und Auslöser

Die Ursache des hereditären Angioödems ist ein Gendefekt auf dem Chromosom 11. Dort ist ein Gen verändert (mutiert), das für die Herstellung des Eiweisses (Proteins) C1-Inhibitor zuständig ist. Dieser Hemmstoff sorgt unter anderem dafür, dass der Körper keine zu grossen Mengen an Bradykinin produziert. Dieses kleine Protein (Peptid) ist an der Regulation des Blutdrucks beteiligt und erhöht die Durchlässigkeit der Blutgefässe.

Das HAE entsteht dadurch, dass wenn das Eiweiss C1-INH in zu niedriger Menge produziert wird (HAE Typ I) oder nicht gut funktioniert (HAE Typ II), zu viel Bradykinin produziert wird. Die Folge bei beiden HAE-Typen ist, dass die Blutgefässe durchlässiger für die Blutflüssigkeit werden. Sie tritt aus den Gefässen aus, lagert sich ins Gewebe ein und löst die attackenartigen Schwellungen aus.

Erbgang beim hereditären Angioödem

Der Erbgang beim hereditären Angioödem ist autosomal-dominant. Das bedeutet: Trägt ein Elternteil das veränderte Gen, hat der Nachwuchs eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, ebenfalls am hereditären Angioödem zu erkranken. Das weibliche Geschlecht ist genauso oft betroffen wie das männliche. Sowohl der Vater als auch die Mutter können das veränderte Gen an Ihre Kinder weitergeben. Meist betrifft das HEA daher mehrere Familienmitglieder.

Allerdings gibt es nicht immer eine familiäre Vorgeschichte: Bei ungefähr 20 Prozent der Betroffenen verändert sich das Gen spontan, ohne dass irgendjemand aus der Familie zuvor an einem hereditären Angioödem erkrankt war. Dies bezeichnen Ärztinnen und Ärzte als „Neumutation“.

Hereditäres Angioödem – es gibt einige Auslöser

Meist sind die Schwellungsattacken unvorhersehbar und es lassen sich keine Auslöser ausfindig machen. Einige „Trigger“ können sie jedoch begünstigen:

  • Mechanische Trigger wie B. Stösse oder Druck, eine Zahnoperation, Entfernung der Rachenmandeln, Intubation
  • Infektionen, etwa eine Erkältung
  • Psychischer Stress (positiv oder negativ), etwa im Alltag, Beruf und in der Familie
  • Hormonelle Veränderungen bei Frauen, etwa die Menstruation oder der Eisprung
  • Manche Medikamente, z. B. ACE-Hemmer (bei Bluthochdruck) oder hormonelle Verhütungsmittel, die Östrogene enthalten

Symptome: Hereditäres Angioödem bedeutet Schwellungen

Die ersten Symptome bei einem hereditären Angioödem setzen meist nicht gleich nach der Geburt ein, sondern innerhalb der ersten zehn Lebensjahre – oder noch später.  Die wichtigsten Anzeichen sind Schwellungen, die in Attacken auftreten.

Die Symptome des HAE hängen davon ab, in welchen Körperregionen sich die Flüssigkeit im Gewebe ansammelt.

Hereditäres Angioödem – die Vorboten einer Attacke

Beim HAE gibt es – wie auch bei der Migräne – einige Vorzeichen (Prodromi), die einen baldigen Schwellungsanfall ankündigen. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Müdigkeit, Abgeschlagenheit
  • Reizbarkeit, Aggressivität
  • Depressive Verstimmungen
  • Kribbelnde und spannende Haut
  • rötliche Hautveränderungen

HAE: Hautschwellungen als Symptome

Die Schwellungen fühlen sich meist prall an und erscheinen optisch blass oder hautfarben. Die meisten verspüren ein Spannungsgefühl, manchmal Schmerzen oder ein Brennen, aber keinen Juckreiz. Ausgeprägte Schwellungen können sehr schmerzhaft sein. In der Regel halten sie ein bis drei Tage an und bilden sich dann wieder zurück. Diese Zeitspanne kann kürzer (wenige Stunden), aber auch deutlich länger (eine Woche) sein.

HAE: Symptome im Magen-Darm-Trakt

Neben der Haut können auch die Wände des Verdauungstraktes anschwellen. Dann zeigen sich folgende Symptome:

  • Bauchschmerzen und heftige Bauchkrämpfe
  • Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen

Im Verlauf können weitere Beschwerden hinzukommen:

  • Wasseransammlung im Bauchraum (Bauchwassersucht, Aszites)
  • Wässrige Durchfälle
  • Erheblicher Flüssigkeitsverlust – manchmal bis hin zum Kreislaufschock

Der Anfall kann zwei bis sieben Tage anhalten. Betroffene fühlen sich meist so schlecht, dass sie währenddessen im Bett bleiben müssen. Die Symptome im Verdauungstrakt können auch auftreten, ohne dass die Haut beteiligt ist.

HAE: Symptome in den Atemwegen

Lebensgefährlich kann es werden, wenn sich die Ödeme im Bereich des Kehlkopfs bilden, was jedoch nur selten der Fall ist. Betroffene erleben Atemnot aufgrund der Kehlkopfschwellung und können ersticken. Eine frühzeitige Therapie des HAE ist hier entscheidend, zudem müssen Ärztinnen und Ärzte sofort handeln, um die Luftwege zu befreien und die Sauerstoffversorgung zu gewährleisten.

Hereditäres Angioödem: Diagnose bei uns

Die Diagnose „hereditäres Angioödem“ ist nicht ganz einfach zu stellen. Denn das Krankheitsbild ist selten in der Arztpraxis. Viele Ärztinnen und Ärzte kommen kaum mit Betroffenen in Kontakt und haben daher nur wenig Erfahrung mit der Erkrankung. So erhalten viele Betroffene die Diagnose erst spät, wenn sie schon mehrere Besuche bei verschiedensten Ärztinnen und Ärzten absolviert oder Therapien durchlaufen haben, die keine Besserung gebracht haben.

HAE diagnostizieren mittels Blutuntersuchung

Die Diagnose „hereditäres Angioödem“ lässt sich anhand einer Blutuntersuchung stellen. Dabei wird

  • die Konzentration und Aktivität des C1-Inhibitors (C1-INH) sowie
  • die Menge des Komplementfaktors C4 – ein Eiweiss im Blutplasma, das bei der Immunabwehr eine wichtige Rolle spielt und zum sogenannten Komplementsystem zählt, gemessen.

Das können wir aus der Blutuntersuchung ablesen:

  • Beim HAE Typ I sind die C1-INH Werte zu niedrig. Die Menge und Aktivität betragen weniger als 50 Prozent der Normalwerte. Auch C4 ist in den meisten Fällen erniedrigt.
  • Anders ist es beim HAE Typ II: Hier sind die Aktivität von C1-INH sowie C4 zu niedrig, während die Konzentration an C1-INH normal oder sogar erhöht ist.

Die Bestimmung dieser Blutwerte ist jedoch erst nach dem ersten Lebensjahr sinnvoll, weil sie erst dann aussagekräftig genug sind. Manchmal liegen alle drei Werte im Normalbereich, aber es bilden sich dennoch Schwellungen in Attacken. Dann könnte ein HAE Typ III dahinterstecken.

Hereditäres Angioödem mittels Gentest nachweisen

Bei widersprüchlichen Resultaten der Laborresultate kann als weitere Möglichkeit zur Diagnose des hereditären Angioödems eine genetische Untersuchung durchgeführt werden. Der Gentest kann für den HAE Typ I und II die veränderte Erbanlage auf dem Chromosom 11 im SERPING1 Gen nachweisen. Bei Verdacht auf HAE Typ III können Mutationen in den Genen von Faktor XII, angiopoietin-1 oder plasminogen gesucht werden. Bewahrheitet sich die Diagnose HAE, sollten sich auch alle anderen Familienmitglieder genetisch untersuchen lassen. So können Ärztinnen und Ärzte die Erkrankung rechtzeitig behandeln.

Hereditäres Angioödem: Verlauf und Prognose

Der Verlauf und die Prognose beim hereditären Angioödem lassen sich nicht allgemein vorhersagen, sondern sind individuell verschieden. HAE ist jedoch eine chronische Erkrankung, die nach heutigem Kenntnisstand nicht heilbar ist – und damit ist sie ein lebenslanger Begleiter. Bei Frauen ist der Verlauf oft schwerwiegender als bei Männern.

Die Schwellungsattacken an Haut, Schleimhäuten oder im Magen-Darm-Trakt sind in der Regel gut behandelbar. Durch eine ausreichende Behandlung lässt sich das Risiko für Komplikation senken und Betroffene können meist einen normalen Alltag leben.

Hereditäres Angioödem: Behandlung

Das hereditäre Angioödem ist zwar gut behandelbar, aber bis jetzt nicht heilbar. Suchen Sie sich immer eine Ärztin oder einen Arzt, die oder der Erfahrung mit der Behandlung hat. Es gibt in der Schweiz auch spezialisierte HAE-Zentren.

Die Therapie zielt darauf ab, die Häufigkeit und Schwere der Schwellungsattacken zu senken, Komplikationen zu verhindern und die Lebensqualität zu erhalten.

HAE-Anfällen vorbeugen: Auslöser meiden

Bekannte Auslöser für HAE Attacken wie zum Beispiel psychischer Stress, Infektionen, östrogenhaltige Verhütungsmittel oder blutdrucksenkende Medikamente (ACE-Hemmer) sollen vermieden werden.

Ärztinnen und Ärzte unterscheiden die Behandlung einer akuten Schwellungsattacke (Bedarfstherapie oder On-demand-Therapie) und die Langzeitprophylaxe, bei der durch dauerhafte Einnahme von Medikamenten die Anzahl der Schwellungsanfälle vermindert wird.

Bei einem operativen Eingriff wird vom Institut für Anästhesiologie das individuell auf Sie angepasste Anästhesie-Verfahren ausgewählt.