Pathologen schauen ganz genau hin – nicht nur bei der Autopsie. Zsuzsanna Varga, Leitende Ärztin am USZ, über den Schnellschnitt und ihre Entdeckung zu COVID-19.
Zsuzsanna Varga, ich treffe Sie nicht in einem gefliesten Seziersaal an, sondern im Büro.
Der grösste Teil meiner Arbeit ist das Beurteilen von Gewebeproben von Patientinnen und Patienten im Labor oder hier in meinem Büro am Mikroskop. Autopsien gehören aber auch zu meinem Alltag. Dazu kommen noch Lehre und Forschung.
Braucht es Autopsien überhaupt noch?
Die Autopsie oder Obduktion ist die letzte Möglichkeit, Krankheitsverläufe und Therapiefolgen zu überprüfen und unklare klinische Fragen oder die Todesursache zu klären. Sie leistet deshalb immer noch einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung in der Medizin.
Reichen die modernen bildgebenden Verfahren dafür nicht aus?
Die Bildgebung hat uns fantastische Möglichkeiten gebracht, Erkrankungen abzuklären und Operationen zu planen. Sie ersetzt die Autopsie aber nicht. Bei der Autopsie wird nicht nur die Diagnose überprüft, sondern der Körper nach einem festgelegten Schema untersucht. Immer wieder ergeben sich daraus wichtige Informationen, etwa, dass die Krankheit beim Verstorbenen ungewöhnlich verlief, weil er unbekannte Begleiterkrankungen hatte. Oder wir entdecken bisher unauffällige Tumor- oder Erbkrankheiten. Die Angehörigen können dank so eines Befundes dann abklären lassen, ob sie ebenfalls daran leiden, und entsprechend vorsorgen.
Befunde aus pathologischen Untersuchungen fliessen aber auch unmittelbar in die Behandlung ein.
Beim sogenannten Schnellschnitt untersuchen Pathologinnen und Pathologen Gewebe noch während der Operation und geben den Chirurgen innerhalb von Minuten Rückmeldung, ob ein Tumor restlos entfernt wurde oder eine Gewebeveränderung bösartig ist. Pathologinnen und Pathologen sind auch in allen Tumorboards dabei, in denen die individuelle Behandlungsplanung der Patientinnen und Patienten besprochen wird. Die Befunde ihrer Untersuchungen sind eine unentbehrliche Grundlage für die Wahl der Therapie. Mit zusätzlichen molekularen Analysen hat die Pathologie zur personalisierten Therapie beispielsweise bei Krebserkrankungen massgeblich beigetragen.
Letztes Jahr haben Sie eine bahnbrechende Entdeckung zu COVID-19 gemacht, die weltweit Aufsehen erregte. Wie kam es dazu?
Einer der modernsten und sichersten Autopsiesäle Europas steht im USZ. Wir konnten deshalb Autopsien bei Verstorbenen mit COVID-19 durchführen, als sie anderswo noch verboten waren. Mir sind dabei Gefässveränderungen aufgefallen, die ich nur von Abstossungsreaktionen bei Patienten mit transplantierten Organen kannte. Die Vermutung lag nahe, dass COVID-19 systemisch, also im ganzen Körper gefährliche Gefässveränderungen auslösen kann. Im unmittelbaren Austausch mit den Klinikern aus der Kardiologie, Infektiologie und von den Intensivstationen erhärtete sich diese These. Plötzlich waren damit die Begleiterkrankungen der Patienten erklärbar. Uns war damit ein grosser Schritt zum besseren Verständnis der Krankheit gelungen.