Story

«Ich verstand den Ernst der Lage nicht»

Zuerst war es nur ein geschwollener Finger. Ein halbes Jahr später konnte Petra Meier* vor Schmerzen kaum noch schlafen. Wie die rheumatoide Arthritis ihr Leben veränderte.

„Als ich eines Morgens im Oktober 2019 erwachte, stellte ich fest, dass mein Zeigefinger über Nacht angeschwollen war und sich steif anfühlte. In den folgenden Monaten kamen immer mehr schmerzende Körperteile dazu: die Hand, die Ellenbogen, die Füsse. Zuerst hoffte ich, dass es sich um eine Überbelastung handeln könnte. Doch es war seltsam, dass die Gelenke immer nachts und am Morgen am meisten weh taten. Ich verdrängte die Probleme lange – wohl auch, weil es im Verlauf des Tages jeweils besser wurde. Ich redete mir ein, Gebresten wie diese gehörten nun mal einfach zum Älterwerden. Aber sie verstärkten sich zusehends. Viele Freunde und Bekannte fühlten mit mir und gaben mir gut gemeinte Tipps – zum Beispiel, worauf ich beim Essen verzichten solle.

Bis zur Erschöpfung

Im März 2020 wurde es dann so richtig schlimm. Weil ich nachts immer öfter mit Schmerzen erwachte, war ich nach einer Weile total erschöpft. Genau in dieser Zeit ordneten die Behörden wegen der Corona-Pandemie den Lockdown an. Ich war unsicher, ob ich zum
Arzt gehen durfte, da ich dachte, bei mir handle es sich nicht um einen Notfall. Stattdessen entwickelte ich immer raffiniertere Methoden, um mit der Situation klarzukommen. Morgens schwang ich mich mit einer speziellen Technik aus dem Bett. Auf dem Weg ins Badezimmer nahm ich kleinstmögliche Schritte. Ich konnte keine Faust mehr machen, keinen Waschlappen mehr auswringen. Ob Haare waschen oder Treppenlaufen – alles war eine Qual. Schwere Türen stellten ein Hindernis dar. Mein persönlicher Tiefpunkt waren die höllischen Schmerzen am Tag, nachdem ich eine Holzpalette über einen Parkplatz geschleppt hatte. Ich brach in Tränen aus. Dieser Schlüsselmoment gab mir die Kraft, endlich die Hausärztin aufzusuchen. Zuvor hatte ich den Ernst der Lage lange nicht erkannt.

Kein Standardfall

Meine Hausärztin schoss Röntgenbilder, führte Labortests durch und tastete meinen Körper ab. Schliesslich überwies sie mich zur genaueren Abklärung an einen Rheumatologen. Da ich gleichzeitig an einer Borreliose erkrankte, verzögerte sich die Diagnosestellung. Der Rheumatologe stufte mich als untypischen, komplexen Fall ein und überwies mich ans USZ. Im Herbst 2020 erhielt ich dort die Diagnose rheumatoide Arthritis. Zur Behandlung bekomme ich seither wöchentlich Spritzen mit Immunsuppressiva, die verhindern, dass sich mein Immunsystem gegen meinen eigenen Körper richtet.

Emotionale Achterbahnfahrt

Die Diagnose war ein Schock für mich. Gleichzeitig war ich nach der langen Phase der Unsicherheit auch erleichtert, dass ich endlich wusste, woran ich litt. Ich war froh, mit der Behandlung beginnen zu können. Einerseits fand ich es schwierig zu verdauen, dass die Krankheit unheilbar ist. Andererseits beruhigte es mich, dass sie zumindest behandelbar ist. Im Winter schossen die Corona-Fallzahlen in die Höhe und ich war aufgrund meiner Medikamente auf einmal eine Risikoperson. Es war eine emotionale Achterbahnfahrt.

Weg aus der Schonhaltung

Ich gehe alle drei Monate zur Blutkontrolle zur Hausärztin und alle sechs Monate ins USZ, wo ich mich sehr gut aufgehoben fühle. Ich injiziere mir einmal pro Woche eine bis zwei Spritzen. Nebenwirkungen spüre ich keine. Ich fühle mich nicht eingeschränkt und bin extrem dankbar für das, was ich jetzt alles wieder kann. Es ist nicht selbstverständlich, dass man von einem derart guten Gesundheitssystem, wie wir es in der Schweiz haben, profitieren kann. Wenn man meine Krankheit googelt, finden sich erschreckende Bilder von verformten Gliedmassen. Heute können diese Gelenkdeformationen dank moderner Therapien zum Glück verhindert werden. Ich geniesse die wiedergewonnene Bewegungsfreiheit in vollen Zügen. Für mich ist es wie ein zweites, geschenktes Leben. Ich rege mich heute nicht mehr so schnell auf über die kleinen Zumutungen des Alltags. Manchmal ertappe ich mich, wie ich unbewusst in Schonhaltung zurückfalle. Zum Beispiel beim Schalten auf dem Velo. Jetzt geht es wieder mit dem Daumen, aber lange  brauchte ich dazu den ganzen Handballen.“

 

*Name von der Redaktion geändert.

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