2003 wurde das Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer (AFK) am USZ eingerichtet. Dort erhalten schwer traumatisierte Menschen psychiatrisch-psychotherapeutische Abklärungen und Behandlungen – ungeachtet ihres Aufenthaltsstatus.
„Menschen, die zu uns kommen, haben unvorstellbare Dinge erlebt. Und zwar nicht nur einmal oder zweimal, sondern zum Teil über ihr ganzes Leben immer wieder. Das hinterlässt extreme Spuren“, erzählt Matthis Schick, Leitender Arzt an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik. Er leitete das AFK von 2010 bis 2018. Die Forschung zeigt, dass es einen kumulativen Traumaeffekt gibt. Irgendwann kommen alle Menschen – seien sie noch so resilient – an ihre Belastungsgrenzen, wenn man sie nur genügend traumatisiert. „Dazu kommt oft eine chronifizierte Vorläufigkeit durch die Aufenthaltssituation“, ergänzt der jetzige Leiter, Naser Morina, Oberassistent an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik. „Unsere Patienten wissen oft lange nicht, ob sie in der Schweiz bleiben, ob ihre Familien in die Schweiz nachkommen dürfen, ob sie hier eine Wohnung finden und so weiter.“ Nichts in ihrem Leben ist sicher. „Wir fokussieren uns auf das, was man fördern und unterstützen kann“, sagt Matthis Schick. In der Behandlung am AFK geht es daher stark darum, den Menschen eine Perspektive zu geben – nur so können sie seelisch wieder gesünder werden und sich sicher fühlen.
Psychische Erkrankung (an)erkennen
Alle Menschen, die am AFK in Behandlung sind, leiden an einer Traumafolgestörung. Äussern kann sie sich ganz unterschiedlich: Die häufigste Diagnose ist die posttraumatische Belastungsstörung, oft kombiniert mit Ängsten, Depression, Schmerzen. Gemeinsam ist den Patientinnen und Patienten, dass sie multidimensionalen Belastungssituationen ausgesetzt sind. Zusätzlich zum Trauma, das sie in der Heimat oder auf der Flucht erlebt haben, sind sie meist der hiesigen Sprachen nicht mächtig, haben kein soziales Umfeld in der Schweiz, wissen nicht, wie das System hier funktioniert, wo man sich Hilfe holen kann. Und: „Diese Menschen haben ein ganz anderes Selbstverständnis. Die wenigsten würden sagen, dass sie eine psychische Erkrankung haben. Sie haben keine Ahnung von unserem Gesundheitssystem und wissen nicht, was ein Psychotherapeut macht“, erklärt Matthis Schick. Deshalb wendet sich nur ein ganz kleiner Teil der Betroffenen selber an das AFK. Die Mehrheit der Patienten wird vom Hausarzt, vom Sozialdienst oder anderen Drittpersonen überwiesen.
Mehr als medizinische Unterstützung
Weshalb können diese Menschen nicht in einer «normalen» Psychiatrie behandelt werden? „Psychisch erkrankte Flüchtlinge scheitern oft daran, ein Gesundheitsangebot in der Schweiz in Anspruch zu nehmen, weil sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage sind, Deutsch zu lernen. Da bei den Hausärztinnen und in vielen Institutionen qualifizierte Dolmetscher nicht finanziert werden, haben sie Schwierigkeiten, sich zu verständigen, und es kommt zu Fehleinschätzungen oder Fehldiagnosen“, weiss Matthis Schick. Häufig dauert es so Jahre, bis jemand merkt, dass eine schwere Traumafolgestörung vorliegt. Aufgrund dieser Barrieren gibt es eine echte Versorgungslücke für die Betroffenen. Das AFK sieht sich deshalb in der Pflicht, auch ein Stück weit Sozialarbeit und Integrationsförderung zu betreiben. „Es sind oft Patienten mit komplexen Problemen, die über die psychische Erkrankung hinausgehen. Integration, Finanzen, psychisches Befinden und so weiter – das hängt alles voneinander ab. Es geht neben den medizinisch-psychologischen auch um soziale, rechtliche, gesellschaftliche und kulturelle Aspekte. Daher reicht es in diesen Fällen eben nicht, eine reine Traumatherapie zu machen und alle anderen Faktoren auszublenden. Deshalb erachten wir es als so wichtig, ein integratives Angebot bereitzustellen, das möglichst viele Aspekte auffängt“, sagt Matthis Schick. So sind die Therapeutinnen und Therapeuten am AFK oft auch eine Art Brückenbauer zwischen Patienten, Behörden und sonstigen Einrichtungen. „Wir versuchen, an einem Gefühl von Sicherheit zu arbeiten“, sagt Naser Morina. Die strukturellen Barrieren, die durch den Staat und das Recht in der Schweiz vorgegeben sind, frustrieren nicht nur die Patienten, sondern manchmal auch die Therapeuten. „Uns sind oft die Hände gebunden, weil es an Strukturen fehlt. Das kann auch uns hilflos machen“, gibt Naser Morina zu – einer der Gründe, sich auch wissenschaftlich mit der Thematik auseinanderzusetzen und die Erkenntnisse in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen.