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Gärt der Zucker, wird es unangenehm

Jeder hat schon davon gehört, aber niemand weiss, was es genau ist: das Reizdarmsyndrom. Was das Syndrom mit dem Konsum von Zucker zu tun hat.

«Ich ernähre mich doch so gesund, weshalb habe ich dauernd Magen-Darm-Beschwerden?» Das ist eine der häufigsten Fragen, die Daniel Pohl in seiner Sprechstunde hört. Der Gastroenterologe behandelt Patientinnen und Patienten mit Reizdarmsyndrom und weiss, was dieses auslösen kann: «Gemäss Literatur leiden knapp die Hälfte aller Personen mit einem Reizdarm unter einer Weizenunverträglichkeit. Knapp 40 Prozent vertragen keine Milch und fetthaltige Speisen. Andere bekannte Auslöser sind Zwiebeln oder Knoblauch.» Die meisten Auslöser enthalten Zucker. «Ganz oft haben wir es mit einer Unverträglichkeit gegenüber fermentierbarem Zucker zu tun», weiss Daniel Pohl. Das ist Zucker, der im Magen-Darm-Trakt in irgendeiner Form vergären kann. Zum Beispiel Laktose, Fructose oder komplexere fructosebasierte Zucker wie Fructane. «Häufig werden der Nahrung Zuckeralkohole beigemischt», sagt der Gastroenterologe. «Diese werden im Verdauungstrakt ebenfalls fermentiert.» In der Fachwelt spricht man von FODMAPs: fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole.

Unangenehme Nebenprodukte

Um zu verstehen, weshalb FODMAPs Beschwerden auslösen, muss man den Mechanismus der fermentierbaren Zucker im Magen-Darm-Trakt verstehen: Isst man fermentierbare Zucker, werden sie in den Magen und anschliessend in den Dünndarm transportiert. Dort sollten sie aufgenommen werden. «Sind im Dünndarm zu wenig Enzyme vorhanden – beispielsweise Lactase, um Lactose zu spalten – oder nimmt man zu viel Zuckerstoffe zu sich, wird der Zucker nicht aufgenommen, sondern wandert weiter Richtung Dickdarm», erläutert Daniel Pohl. Dabei entstehen verschiedene Nebenprodukte: manche, die für den Darm wichtig sind, aber eben auch Hydrogen, ein Gas, das den Darm bläht. «Zudem sind die Zuckerstoffe osmotisch aktiv, das heisst, sie ziehen Wasser ins Darmlumen », so Daniel Pohl. Das erklärt, weshalb manche Menschen nach FODMAP-Konsum unter Durchfall, Stuhlunregelmässigkeiten, Bauchschmerzen, Blähungen und Windabgang leiden.

Periphere oder zentrale Ãœberempfindlichkeit

Weshalb leiden einige Personen nach dem Konsum von Zuckerstoffen an Bauchbeschwerden, andere nicht? Daniel Pohl weiss: «Es braucht eine gewisse Sensitivität. Ab einer gewissen Dosis FODMAP leiden alle Menschen unter Magen-Darm-Beschwerden. Essen Sie ein Kilo Zwiebeln, werden Sie es merken.» Studien haben gezeigt, dass Reizdarmpatienten bei kleineren Dosierungen FODMAP mehr Symptome haben als der Durchschnitt. Weshalb? Bekannt sind zwei Mechanismen: die periphere und die zentrale Überempfindlichkeit. Betroffene mit einer peripheren Überempfindlichkeit spüren Dehnungen im Darm viel schneller. Man vermutet auch, dass sie unter Mikroentzündungen leiden und allenfalls immunogene und hormonell gesteuerte Prozesse dafür verantwortlich sind. Bei der zentralen Überempfindlichkeit spielt das zentrale Nervensystem eine Rolle: «Wissen Sie schon im Voraus, dass Sie Bauchschmerzen kriegen, wenn Sie einen Apfel essen, erwarten Sie das auch. Sie sind darauf konditioniert », erklärt Daniel Pohl. Der Körper reagiert dann auch tatsächlich mit den erwarteten Symptomen.

Hydrogen in Ausatemluft

Wie wird die Ãœberempfindlichkeit – abgesehen von den Symptomen – medizinisch festgemacht? «In unserer Sprechstunde prüfen wir als Erstes, ob schon andere Erkrankungen vorhanden sind und welche Untersuchungen bereits gemacht wurden. Dann analysieren wir die Blutwerte, um eine allfällige allergische Neigung auszuschliessen», sagt Daniel Pohl. Zudem erhalten Patientinnen und Patienten einen Drink, der Fett, Proteine, Volumen und fermentierbare Zuckerstoffe enthält. Während drei Stunden nach der Aufnahme müssen die Patienten ihre Symptome aufschreiben und anhand ihrer Intensität (Stärke) bewerten. Die Ärzte messen gleichzeitig das in der Atemluft vorhandene Hydrogen. Sobald dieses steigt, beginnt nämlich die Fermentation im Körper. Treten die Symptome gleichzeitig mit der Fermentation auf, bedeutet dies, dass die Betroffenen auf die fermentierbaren Zucker reagieren. «So können wir unterscheiden, ob die Magen-Darm-Probleme nahrungsassoziiert sind oder eben nicht», erklärt Daniel Pohl. Dieses Resultat hilft, die richtige Therapie auszuwählen.

Ernährungsberatung kann viel bewirken

Praktisch alle Reizdarmpatientinnen und -patienten erhalten einen Termin bei der Ernährungsberatung. «Betroffene müssen sich über mehrere Wochen FODMAP-frei oder zumindest -arm ernähren. Und trotzdem ausreichend Fette, Proteine usw. zu sich nehmen. Es geht um die Ernährung als Ganzes», sagt Daniel Pohl. Studien haben gezeigt, dass eine FODMAPfreie Ernährung weniger Kalorien beinhaltet. Das ist ein Grund, weshalb die Ernährungsberatung bei einem durch eine Nahrungsmittelunverträglichkeit ausgelösten Reizdarm zwingend notwendig ist. Wichtig ist Daniel Pohl jedoch, Zuckerstoffe nicht zu verteufeln: «Sie sollten keine Panik davor haben, auch wenn Sie mal Zuckerstoffe zu sich nehmen. Das bringt Sie nicht um. Das ist ein wichtiger Unterschied zu allergologischen und immunologischen Reaktionen. Gehen Sie es entspannt an.»