Was ist die tiefe Hirnstimulation und was kann man mit ihr behandeln?
Als tiefe Hirnstimulation bezeichnet man das Einbringen von Elektroden in das Zentrum des Gehirns und das Beeinflussen von Nervenzellen durch elektrischen Strom.
«Tief» ist die Behandlung deshalb, weil die Zielstrukturen nicht selten 10 oder 12 cm von der Oberfläche des Gehirns entfernt liegen. Für das elektrische Beeinflussen sind die Elektroden über Kabel, welche unsichtbar unter der Haut implantiert sind, mit einem Impulsgenerator verbunden. Dieser wird auch Hirnschrittmacher», «Impulsgenerator» oder vereinfacht «Batterie» genannt. Dieses Gerät ist vergleichbar mit einem Herzschrittmacher, nur meistens etwas grösser. Es enthält neben der eigentlichen Batterie auch einen Computer, der die Stimulation vollkommen selbständig steuern kann. Das ganze System kann von aussen ausgelesen und programmiert werden, entweder durch ein Patientenprogrammiergerät (ähnelt einem Mobiltelefon) oder einem speziellen Tablet-Computer, welche sich per Funk mit dem Impulsgenerator verbinden können.
Die wichtigsten Gründe für die tiefe Hirnstimulation sind die Parkinson-Erkrankung, der Tremor und die Dystonie. Weltweit wurden bereits mehrere Hunderttausend Menschen mit dieser Therapie behandelt. Da das ganze Gehirn im Wesentlichen auf Basis von Elektrizität funktioniert, sind die theoretischen Möglichkeiten dieses Therapieverfahrens natürlich noch viel grösser. Regelmässig werden daher neue Behandlungen für andere Krankheiten entwickelt und in Studien getestet.
An unserem Zentrum nutzen wir die tiefe Hirnstimulation beispielsweise regelmässig auch für die Behandlung schwerster behandlungsresistenter Fälle von Epilepsie, von chronischen Schmerzen oder auch psychiatrischen Erkrankungen wie schwerster Depression, Zwangsstörungen oder Gilles-dela-Tourette-Syndrom. Für solche «neuen» Indikationen muss allerdings in jedem einzelnen Fall sorgfältig geprüft werden, ob die Risiken und die hohen Behandlungskosten gerechtfertigt sind und ob die Krankenversicherung die Kosten übernimmt.
Die Behandlung von Parkinson, Tremor und Dystonie sind in der Schweiz aber Teil des Pflichtkatalogs und werden in jedem Fall, abzüglich der mit dem Versicherer vereinbarten Franchise, voll übernommen.
Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Eskalationstherapien Nebenwirkungen, die durch ungewollte Mitstimulation von Nachbarstrukturen entstehen können, umfassen eine Sprechstörung, eine Verkrampfung (unabhängig von der eigentlichen Dystonie), Kribbeln bzw. Fühlstörungen oder eine Sehstörung. In der Praxis am bedeutsamsten ist aber eine Verlangsamung der Bewegungen, die an eine Parkinson- Erkrankung erinnert. Dies betrifft vor allem das Gehen: Hier kann es zum sogenannten «Freezing» kommen, also einem «Klebenbleiben» der Füsse am Boden, vor allem beim Loslaufen oder Wenden.
Wie immer bei der tiefen Hirnstimulation sind diese Nebenwirkungen reversibel, d.h. durch eine Umstellung der Stimulationsparameter umkehrbar. Bei der «Parkinson-Nebenwirkung» liegt das Problem darin, dass die Stelle, wo die Nebenwirkung entsteht, in der Regel auch die Stelle ist, wo die beste Dystoniekontrolle erreicht werden kann. Damit muss man manchmal einen Kompromiss suchen: Möglichst gute Dystoniekontrolle – und möglichst wenig «Parkinson-Nebenwirkung».
Die Implantate sind alle unter der Haut verborgen und von aussen nicht oder, abhängig von der Dicke des Unterhautfettgewebes der Patientin oder des Patienten, nur mit Mühe sichtbar. Der Impulsgenerator kann entweder links oder rechts und sowohl am Bauch oder der Brust implantiert werden. Um zu vermeiden, dass die Implantate beispielsweise beim Ableiten eines EKG oder bei Behandlungen im Herzbereich stören, empfehlen wir heute in der Regel eine rechtsseitige Implantation des Impulsgenerators.
Untersuchungen vor und nach der Operation
Damit die Behandlung bestmöglich für Patientinnen und Patienten ausgewählt werden kann, und für eine rigorose Qualitätskontrolle, sind verschiedene Untersuchungen vor der Operation und sechs Monate danach erforderlich. Mit den Voruntersuchungen soll erreicht werden, dass die Indikation für die Behandlung richtiggestellt wird, und dass Behandelte optimale Chancen auf das bestmögliche Ergebnis mit möglichst wenig Nebenwirkungen und Komplikationen haben. Die Nachuntersuchungen dienen der Qualitätssicherung und der systematischen Therapieoptimierung.
Wir sind zudem verpflichtet, diese Untersuchungen durchzuführen, da sie auch Vorgaben des Bundesamts für Gesundheit folgen. Diese Verpflichtung gehen auch Patientinnen und Patienten ein, wenn sie sich einer tiefen Hirnstimulation unterziehen. Die Vor- und Nachuntersuchungen unterscheiden sich leicht bei den unterschiedlichen Behandlungsindikationen und sind oben gesondert aufgeführt.
Die Operation
Vor der Operation müssen Aspirin® (ASS/Acetylsalicylsäure) und andere blutverdünnende Medikamente (zum Beispiel Marcoumar®, Xarelto®, Eliquis®, Pradaxa®,Lixiana®) nach Anweisung der Neurochirurgin oder des Neurochirurgen rechtzeitig komplett abgesetzt werden.
Aspirin® muss beispielsweise sieben Tage vor dem Eingriff abgesetzt werden. Damit besteht ein gewisses Risiko, dass in der Zeit ohne Schutzwirkung das Ereignis auftritt, vor dem das Medikament hätte schützen sollen (z. B.Schlaganfall etc.). Wir schauen dies sehr individuell an und beurteilen das Risiko. Unter Umständen muss die Zeit bis zur Operation mit einem anderen kurzwirksamen blutverdünnenden Medikament überbrückt werden, zum Beispiel mit Fragmin®-Spritzen.
Ferner ist es auch wichtig, darauf zu achten, nicht «aus Versehen» ein blutverdünnendes Mittel zu nehmen. So schlucken viele Menschen Aspirin® gegen Schmerzen oder beigemischt in einem Erkältungsmittel– und sind sich der blutverdünnenden Wirkung gar nicht bewusst. Nimmt eine Patientin oder ein Patient auch nur eine Tablette Aspirin® in der Woche vor der Operation ein, muss die Operation aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos verschoben werden.
Andere mögliche Medikamentenumstellungen hängen von der zu behandelnden Grunderkrankung ab. Je nach Schweregrad der Parkinsonsymptome müssen am Tag der Operation die Parkinson-Medikamente pausiert werden. Nimmt eine Patientin oder ein Patient zu viele verschiedene, auch lang-wirksame Parkinson-Medikamente ein, werden diese schon vorher auf ein kurzwirksames Dopaminpräparat umgestellt – ähnlich wie beim vorgängigen Levodopa-Test. Wir informieren Patientinnen und Patienten im Vorfeld darüber, wie die Umstellung durchgeführt werden soll. Bei Problemen oder Fragen, können sie sich jederzeit an uns wenden.
Am Morgen des Operationstages betäuben wir die Kopfhaut durch Injektion eines lokalen Betäubungsmittels an mehreren Stellen rings um den Kopf in leichter Sedation.
Anschliessend befestigen wir einen Stereotaxierahmen am Schädel mit vier Schrauben durch die Haut hindurch. Diese Prozedur ist, dank der vorherigen Betäubung, nicht schmerzhaft. Der Rahmen bleibt bis zum Ende der Operation, also für ungefähr vier Stunden, am Kopf befestigt.
Im Operationssaal werden die Haare sorgfältig gescheitelt und nur minimal im Bereich des Operationsgebietes rasiert. Nach sorgfältiger Desinfektion und steriler Abdeckung beginnt die eigentliche Operation. Mit einem neurochirurgischen Bohrer wird eine Öffnung von 14mm Durchmesser im Schädel angebracht. Dies ist nicht schmerzhaft, dauert wenige Sekunden und wird durch die direkte Übertragung der Vibrationen des Gerätes auf die Hörorgane im Schädel als lautes Geräusch wahrgenommen. Über diese Öffnung werden nun eine oder mehrere feine Elektroden bis zum geplanten Zielpunkt eingeführt.
Die Ableitung von Hirnströmen von der Spitze der Elektrode erlaubt es dem ebenfalls gegenwärtigen Neurologen und Neurophysiologen, die Genauigkeit des Verfahrens zu überprüfen und zu optimieren. Das Signal zeigt an, ob die Elektrode im richtigen Kerngebiet ist.
Während einer Teststimulation überprüft die Neurologin oder der Neurologe die Wirksamkeit der Stimulation und das Auftreten eventueller Nebenwirkungen. Ziel ist es, bei wenig Stimulation bereits eine gute Wirkung zu erzielen, während Nebenwirkungen erst bei starker Stimulation auftreten sollten. Dies erlaubt später einen grösseren Spielraum für die Programmierung des Stimulators. Sobald die Resultate zufriedenstellend sind, ersetzt der Neurochirurg die Testelektrode durch eine Elektrode mit mehreren Kontakten an der Spitze, welche dauerhaft in der Zielregion verbleiben soll. Sie wird am Knochen befestigt und das Bohrloch gleichzeitig verschlossen.
Direkt danach wird die gesamte Prozedur auf der anderen Kopfseite wiederholt. Eine Computertomographie des Kopfes bestätigt schliesslich die korrekte Elektrodenlage auf beiden Seiten, so dass wir den Stereotaxierahmen entfernen können.
Insgesamt ist der Eingriff selbst also nicht schmerzhaft, nur das Bohren der Löcher in den Schädel ist sehr laut. Die meisten Patientinnen und Patienten empfinden das lange Liegen mit fixiertem Kopf als den unangenehmsten Aspekt der Operation. Das gilt insbesondere für Parkinson-Patienten, die sich ja im «Medikamenten-OFF» befinden. Hier können dann verstärkte Parkinson-Beschwerden wie Beinkrämpfe oder ein ausgeprägtes Ruhe-Zittern stören.
Dank unserer langjährigen Erfahrung können wir mit diesen Symptomen umgehen. Hier spielen unsere Pflegefachkräfte eine wichtige Rolle, die die Patientinnen und Patienten bereits im Vorfeld kennenlernen. Daneben ist natürlich auch die Anästhesie durchgehend präsent. Falls nötig, sorgt sie für eine leichte Sedierung mithilfe eines intravenösen Medikaments. Im Extremfall kann auch eine Vollnarkose eingeleitet werden. Nach dem Einlegen der Elektroden muss als nächstes der Impulsgenerator eingelegt werden. Hierfür ist eine Vollnarkose nötig. Die Prozedur dauert nochmals ca. 30 Minuten.
Wach oder in Narkose?
Die Operation kann grundsätzlich in Narkose oder im Wachzustand durchgeführt werden. Unterschiedliche Zentren gehen hier verschieden vor. Die meisten Neurochirurgen bevorzugen heute jedoch die Operation im Wachzustand, weil dieses Vorgehen es erlaubt, Wirkungen und Nebenwirkungen der Stimulation während der Operation auszutesten und die Implantation dementsprechend zu optimieren.
An unserem Zentrum wird die Implantation der Elektroden im «Parkinsonkern» bei der Parkinson-Erkrankung sowie im «Zitterkern» bei Tremorerkrankungen standardmässig im Wachzustand durchgeführt, da auf diese Weise eine grössere Sicherheit bezüglich Wirkungen und Nebenwirkungen erreicht werden kann. Folgende zwei Faktoren sind dafür ausschlaggebend:
Erstens kann im Wachzustand eine bessere Ableitung der Hirnströme aus dem Zielgebiet erfolgen, da sie nicht durch Narkosemittel beeinflusst ist. Damit lässt sich die Zielregion des Parkinsonkerns genauer festlegen.
Zweitens ermöglicht eine Teststimulation im Wachzustand eine Abschätzung des gesamten sogenannten therapeutischen Fensters für einen bestimmten Stimulationsort.
Wir sehen, ob und mit wie viel Strom die Beschwerden gelindert werden – idealerweise mit so wenig Strom wie nötig – beziehungsweise mit wie viel Strom welche Nebenwirkungen durch ungewollte Mitstimulation von Nachbarstrukturen auftreten – dies sollte idealerweise gar nicht oder erst mit viel Strom eintreten. Diese Spannweite zwischen einer möglichst tiefen Wirkungs- und möglichst hohen Nebenwirkungsschwelle nennen wir das therapeutische Fenster, das idealerweise sehr weit ist. Dieses ist spezifisch für einen bestimmten Stimulationsort bzw. eine bestimmte Elektrodenlage. Stellt sich in der Teststimulation heraus, dass das therapeutische Fenster nicht optimal ist, kann die Lage der Elektroden korrigiert werden.
Das ist insbesondere dann wichtig, wenn die Mikroelektrodenableitung zeigt, dass mehrere Stellen im Zielort potentiell geeignet sind. Somit können wir diese während der Operation vergleichen und die beste Stelle auswählen.
In einer Studie aus unserer Klinik haben wir herausgefunden, dass dieses Vorgehen bei 1 von 9 Operierten zu einer optimaleren Elektrodenlage führte. Andere Zentren, die primär in Vollnarkose operieren, testen auch mögliche Nebenwirkungen mit Hilfe von Muskelableitungen beim schlafenden Patienten. Dieses Vorgehen ist aber relativ grob, weil leichte Nebenwirkungen u.U. nicht erfasst werden. Ausserdem wird die Wirkungsschwelle gar nicht untersucht, sodass das therapeutische Fenster im Dunklen bleibt. Auch wird die Chance erhöht, langfristig das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Insofern überwiegen in der Regel die Vorteile von grösserer Sicherheit und besseren Chancen die Nachteile von grösserem Aufwand und mehr Belastung deutlich. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil unsere Patientinnen und Patienten während der Wachoperation gut vorbereitet und begleitet werden und – falls nötig oder gewünscht – während der Operation kurzwirksame sedierende Medikamente erhalten.
Andere Implantationen, wie beispielsweise Implantationen im «Überbewegungskern» Globus pallidus internus oder die tiefe Hirnstimulation bei Epilepsie, werden standardmässig in Narkose durchgeführt, weil hier die Austestung im Wachzustand wenig gewinnbringend ist. Wir berücksichtigen auch immer den Patientenwunsch und diskutieren die Vor- und Nachteile beider Vorgehen gemeinsam. Das heisst, dass auch bei uns Operationen im Parkinsonkern in Vollnarkose erfolgen können, zum Beispiel wenn die Patientin oder der Patient zwar grundsätzlich dafür geeignet ist, sie oder er aber eine Wachoperation trotz aller Vorbereitung und Begleitung nicht tolerieren würde.
Nach der Operation
Nach der Elektrodenimplantation bleiben die Patientinnen und Patienten zunächst in stationärer Behandlung. Die Wunden werden kontrolliert und nach drei Tagen dürfen Patientinnen und Patienten wieder duschen und die Haare waschen. Es wird eine Röntgenkontrolle des ganzen Systems durchgeführt. Manche – aber nicht alle – Behandelten bemerken nach der Elektrodenimplantation, einen positiven Effekt auf ihre Symptome, selbst wenn wenig oder gar kein Strom fliesst. Dieser Effekt wird durch die kleine Gewebeschädigung bewirkt, die das Setzen der Elektroden im Kerngebiet mit sich bringt (daher «Setzeffekt»).
Einige Tage nach der Operation wird die Stimulation eingeschaltet und es erfolgt eine sogenannte monopolare Austestung, wobei alle acht Pole ausgetestet werden, damit der bestmögliche Kontakt bestätigt und mögliche Nebenwirkungen dokumentiert werden können. Danach wird die Stimulation langsam schrittweise erhöht und die Medikamente werden je nach dem angepasst. Je nach Grunderkrankung und Gesundheitszustand erfolgt der Übertritt in eine Rehabilitationsklinik circa sieben bis zehn Tage nach der Operation (obligat im Falle einer Parkinsonerkrankung, möglicherweise bei Tremor und Dystonie) oder nach Hause.
Operationskomplikationen
Die tiefe Hirnstimulation zählt zu den Eingriffen mit der geringsten Komplikationsrate in der Neurochirurgie. Alle möglichen Folgen, welche wir Ihnen hier aufzählen, sind sehr selten. Dennoch ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass auch bei dieser Operation schwere Komplikationen auftreten können und die Gefahr von schweren neurologischen Störungen oder sogar Todesfolge bestehen.
- Anhaltende Schmerzen oder Flüssigkeitsansammlungen am Implantationsort des Schrittmachers.
- Infektionen und Bakterienbesiedlung von Elektroden und Schrittmacher treten im Lauf des ersten Jahres nach der Implantation bei bis zu 3% der Patientinnen und Patienten auf und machen eine vorübergehende Entfernung des Systems und eine Therapie mit Antibiotika erforderlich.
- Die Einlage der Elektrode schiebt das Hirngewebe zur Seite ohne wesentliche Verletzung. Dennoch kann in 1–2% der Fälle die Verletzung von kleinen Blutgefässen Hirnblutungen auslösen. Die meisten solcher Blutungen sind klein und machen keine Beschwerden, sie können aber selten gross oder kritisch sein und entsprechend Symptome von Lähmungen über Sprechstörungen auslösen bis hin zur Todesfolge.
- Krampfanfälle können in bis zu 1–3% der Fälle auftreten.
- Allgemeinmedizinische Komplikationen, wie z. B. ein Blutgerinnsel in der Lunge werden in 1% gesehen. Ebenfalls kann es nach einer Operation zu einem sogenannten «Delir» (deutscher Begriff «Durchgangssyndrom») kommen. Dabei sind Betroffene mental und / oder psychisch verändert: Sie sind verlangsamt oder angetrieben. Sie mögen «durcheinander» sein und Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren oder sich an Gesprächsinhalte zu erinnern. Auch ein «seltsames Verhalten» oder gar Halluzinationen sind möglich. Hier ist wichtig zu verstehen, dass dieses Delir auf die Operation und nicht auf die Stimulation zurückzuführen ist. Auch erholen sich Patientinnen und Patienten in aller Regel vollständig von diesem Zustand – es kann aber einige Zeit dauern. Wir wissen, dass das Risiko für ein Delir umso höher ist, je älter und kränker Patienten sind und je stärker höhere Hirnleistungsfunktionen beeinträchtigt sind. Das Risiko für ein Delir besteht nicht nur bei der tiefen Hirnstimulation sondern bei jeder Art von Operation; und auch eine Vollnarkose allein kann ein Delir auslösen.
Nebenwirkungen
Die Stimulation kann Nebenwirkungen bewirken, wenn Gewebe in unmittelbarer Nachbarschaft des Zielgebietes ungewollt mitstimuliert wird. Die tiefe Hirnstimulation ist reversibel, das heisst der Strom kann verändert werden, damit die Nebenwirkungen nicht auftreten. Alternativ können andere Kontakte angesteuert oder andere Stimulationsparameter verwendet werden. Die Nebenwirkungen ergeben sich aus den Kerngebieten, die stimuliert werden.
Die Parameter der Behandlung können jederzeit durch ein Umprogrammieren verändert werden und haben unterschiedliche Folgen für die Stimulation. Eine Strategie, um Nebenwirkungen zu begegnen, ist die direktionale Stimulation.
In der neuesten Generation der Stimulationselektroden sind die Kontakte nicht nur ringförmig angeordnet, sondern teilweise segmentiert. Dies erlaubt uns, ein Stimulationsfeld ganz gezielt in eine bestimmte Richtung auszurichten, also z. B. weg von der seitlich anliegenden inneren Kapsel. Dies kann wichtig sein, wenn beispielsweise die Elektrode nicht zu 100% optimal liegt oder die Zielstruktur sehr schlank ist.
Manchmal ist es nötig, einen Kompromiss zu schliessen:
Es muss zum Beispiel abgewogen werden, ob die maximale Therapie der Symptome gewünscht ist, auf Kosten einer gewissen Nebenwirkung – oder ob die Einstellung lieber so gewählt wird, dass sicher keine Nebenwirkungen auftreten. Möglicherweise muss man dafür im Gegenzug noch bestimmte Symptome in Kauf nehmen oder mehr Medikamente nehmen.
Brain sensing
Klassischerweise stimuliert das Gerät ununterbrochen, 24 Stunden am Tag, und passt sich nicht an die Gehirnaktivität an. Neue Entwicklungen erlauben nun auch ein sogenanntes «Sensing». Das ist die Messung der Hirnaktivität durch den Stimulator. Dies kann entscheidende Vorteile bieten, wie zum Beispiel, dass nur dann stimuliert wird, wenn Symptome vorliegen und es notwendig ist. Das ist bei der Parkinson-Krankheit ein typisches Szenario da es hier gute und schlechte Phasen gibt.
Damit kann in Zukunft möglicherweise Batterie gespart werden. Ausserdem ist es denkbar, dass damit Nebenwirkungen gemindert werden können. Diese neue Technologie ist aktuell weltweit in Austestung, aber im Wesentlichen bereits verfügbar.
Heute schon können wir durch das Auslesen des Stimulators nachvollziehen, wie viele schlechte und wie viele gute Phasen es seit der letzten Kontrolle gab. Das kann eine wertvolle Ergänzung zum Gespräch sein, insbesondere bei Parkinson-Betroffenen.
Monitoring zu Hause
Manche Anbieter implementieren den Stimulator in einem Netzwerk, welches sowohl von den Patientinnen und Patienten als auch von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten angesteuert werden kann. Dies wird in Zukunft vermehrt Lösungsfindungen erlauben, ohne dass eine Konsultation im Spital nötig ist.
Die Einstellungen können aus der Ferne durch die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt ausgelesen werden und ermöglichen Rückschlüsse über die Stimulation und ihre Wirkung. Batteriewechsel und aufladbare Neurostimulatoren Die Impulsgeneratoren verfügen entweder über eine nicht aufladbare («permanent cell», PC) oder eine per Induktion aufladbare Batterie («rechargeable cell», RC).
Die Lebensdauer der nicht-aufladbaren Stimulatoren beträgt abhängig vom individuellen Stromverbrauch normalerweise zwischen drei und fünf Jahre. Bei Dystonie und Epilepsie wird erfahrungsgemäss mit recht starker Stimulation gearbeitet, weshalb der Stromverbrauch höher und die Lebensdauer der Batterie kürzer ist. Ist eine Batterie erschöpft, erhält die Patientin oder der Patient durch das Patientenprogrammiergerät eine Meldung, die sie oder ihn über die noch verbleibende Lebensdauer informiert. Ist diese kürzer als drei Monate, wird der Betroffene aufgefordert, mit dem Spital Kontakt aufzunehmen zur Planung des Impulsgeneratorwechsels.
Dieser Wechsel erfolgt zumeist in Lokalanästhesie und dauert etwa zehn Minuten. Die wiederaufladbaren Stimulatoren können 15 Jahre ohne Wechsel betrieben werden und sind etwas kleiner als die nicht aufladbaren Stimulatoren. Dafür müssen sie täglich oder wenigstens alle paar Tage per Induktion aufgeladen werden. Für Reisen bedeutet das beispielsweise, dass das Ladegerät immer mitgeführt werden muss. Die meisten Patientinnen und Patienten wählen daher nicht wiederaufladbare Systeme, da damit das regelmässige Aufladen der Batterien entfällt und nicht ständig an die tiefe Hirnstimulation gedacht werden muss. Erweist sich die Lebensdauer im individuellen Fall als sehr kurz, kann bei einem Wechsel ein aufladbarer Stimulator verwendet werden.
Leben mit der tiefen Hirnstimulation (THS)
Sport treiben
THS-Patientinnen und Patienten können prinzipiell die meisten Sportarten ausüben – auch Wassersport. Allerdings ist zu beachten, dass ein kleiner Teil der Parkinson- Betroffenen mit tiefer Hirnstimulation im «Parkinsonkern» nach der Operation das Schwimmen, das Skifahren oder das Golfspielen verlernt. Beim ersten Gang ins tiefe Wasser oder auf die Skipiste ist daher Vorsicht geboten.
Ausserdem können starke Kräfte, die auf den Körper einwirken, zum Bruch der Zuleitungen oder zu einem Defekt des Stimulators führen. Riskant sind in dieser Hinsicht alle Kontaktsportarten wie etwa Boxen oder Karate, aber auch das Gewehrschiessen wegen des Rückstosses. Von Tiefseetauchen mit THS wird ebenfalls abgeraten.
Medizinische Untersuchungen
Die meisten medizinischen Untersuchungen und Heilverfahren sind weiterhin möglich. Einzig kernspintomografische Untersuchungen (MRI) sind aufgrund der dabei erzeugten starken elektromagnetischen Felder, nur in bestimmten Grenzen möglich. Die neuesten THS-Geräte erlauben Bildgebungen mit MR-Geräten, die mit einer Stärke von 1.5 oder 3 Tesla arbeiten. Im Zweifel muss die Situation mit der behandelnden Radiologin oder dem behandelnden Radiologen geklärt werden.
Während der Untersuchung sind bestimmte Einstellungen auf dem Stimulator einzustellen. Dies können Patientinnen und Patienten mit seinem Patientenprogrammiergerät selbständig tun. Sie erhalten von uns einen Implantatausweis mit den notwendigen Informationen.
Physikalische Therapien zur lokalen Erwärmung, die nach dem Hochfrequenzprinzip arbeiten (Diathermie), sind gefährlich und dürfen keinesfalls angewendet werden.
Während Operationen muss bipolar kauterisiert werden. Probleme kann es überdies bei der Ableitung eines Elektrokardiogramms (EKG) geben, wenn die hochfrequenten elektrischen Impulse des THS-Systems das EKG-Bild stören. Kurzfristiges Abschalten des Stimulators oder das Aktivieren eines MRT- bzw. EKG-Modus lösen das Problem.
Reisen
Reisen ist möglich. An Flughäfen muss das Personal mittels eines entsprechenden Implantatausweises auf den Stimulator hingewiesen werden. Beim Durchschreiten des Kontrollsystems besteht keine Gefahr. Die Kontrolle mit Handgeräten oder Metalldetektoren hingegen ist aus Sicherheitsgründen nicht empfohlen. Das Patientenprogrammiergerät und die Medikamente sollten immer im Handgepäck mitgeführt werden.
Prinzipiell ist das Führen eines Fahrzeuges bei Vorliegen einer tiefen Hirnstimulation nicht verboten und es gibt keinen medizinischen Grund, es per se zu untersagen. Allerdings sollte in den ersten Monaten nach dem Eingriff und prinzipiell so lange, bis die Einstellung der Stimulation und der Medikation zufriedenstellend gelöst ist, eher kein motorisiertes Fahrzeug bewegt werden. Dies gilt insbesondere für Parkinson-Patienten, wo die Einstellung am komplexesten ist. So besteht standardmässig für mindestens drei Monate nach der Operation keine Fahrtauglichkeit.
Nach dieser Zeit führen wir in der Sprechstunde einen Gedächtnis- und Konzentrationstest durch und beurteilen den motorischen Zustand. Je nach Ergebnis wird die Fahrtauglichkeit dann wieder freigegeben – oder die Fahrkarenz verlängert sich bis zur erneuten, ausführlichen neuropsychologischen Testung sechs Monate nach der Operation.