Sie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Jede zehnte Person erlebt einmal im Leben bewusst oder unbewusst eine epileptische Episode. Trotzdem kämpfen Betroffene mit Vorurteilen.
Die meisten denken beim Stichwort Epilepsie an den generalisierten Krampfanfall mit Bewusstseinseintrübung, krampfartigen Bewegungen und Schaum vor dem Mund. Das löst Unsicherheit und Ängste aus. So sehr, dass Kinder mit Diagnose Epilepsie nicht mehr zu Kindergeburtstagen eingeladen werden, weiss Niklaus Krayenbühl, der auf Epilepsie spezialisierte Neurochirurg am USZ und im Kinderspital. Manche Familien ziehen sich deshalb zurück und isolieren sich zunehmend. «Es ist wichtig, dass wir über Epilepsie sprechen», betont Niklaus Krayenbühl. «Diese Menschen werden immer noch stigmatisiert. Deshalb sind wir sehr froh, wenn Betroffene offen von ihrer Krankheit erzählen und anderen damit Mut machen.» Auch deshalb, weil heute viele Epilepsien gut therapierbar sind. Doch was geschieht eigentlich bei einem epileptischen Anfall?
Gewitter im Kopf
Beim gesunden Menschen laufen pausenlos eine Unmenge elektrischer und chemischer Signale zwischen den Milliarden von Nervenzellen des Gehirns ab. Diese Signale sind genau aufeinander abgestimmt. Bei einem epileptischen Anfall entladen sich dagegen plötzlich viele Nervenzellen gleichzeitig und sorgen damit für eine Art «Gewitter im Kopf». Geschieht dies nur in einem bestimmten Areal, spricht man von einem fokalen Anfall. Die Ursache sind hier zumeist lokale Veränderungen im Gehirn. Beim generalisierten Anfall ist dagegen das gesamte Gehirn vom «Gewitter» betroffen. Von einer Epilepsie spricht man jedoch erst,
wenn die Anfälle wiederholt auftreten.
Fokale Epilepsien werden oft übersehen
Während schwere Formen von Epilepsie unschwer zu erkennen sind, gilt dies nicht unbedingt für Epilepsien mit subtileren Anfällen. Vielfach werden solche Formen nicht entdeckt, zum Leidwesen der Betroffenen.
«Nickt beispielsweise die Grossmutter während eines Gesprächs immer wieder weg, wird das vielfach einfach dem Alter zugeschrieben», erläutert der Neurochirurg. Dabei ist es durchaus möglich, dass sie epileptische Episoden erlebt als Folge eines Schlaganfalls. «Es gilt dann, hellhörig zu werden, wenn sich Ereignisse mit neurologischer Beeinträchtigung wiederholen. Das kann zum Beispiel ein von der Magengegend aufsteigendes unangenehmes Gefühl sein. Oder ein kurzzeitiges, immer wieder plötzlich auftretendes Kribbeln im Arm oder ein wiederkehrendes kurzzeitiges Angstgefühl» erklärt der Spezialist. In solchen oder ähnlichen Fällen empfiehlter eine neurologische Abklärung, denn eine Epilepsie sollte man unbedingt therapieren.
Medikamente als Therapie der Wahl
«Die erste Therapie ist in jedem Fall medikamentös», erklärt Niklaus Krayenbühl. «Die Chance, dass der Patient dank Medikamenten anfallfrei wird, liegt immerhin bei 60 bis 70 Prozent». Gelingt dies nicht, kann die Chirurgie helfen, sei dies mit dem Ziel der vollständigen Heilung oder doch wenigstens einer Verbesserung der Lebensqualität, indem Häufigkeit und Intensität der Anfälle reduziert werden. «Heute tendieren wir dazu, die Epilepsie so früh wie möglich operativ zu behandeln, wenn die medikamentöse Therapie nicht anschlägt. Bei Kindern ist das besonders wichtig, weil sie durch die Epilepsie oft in ihrer Entwicklung behindert werden.» Das Ziel ist in diesem Fall also ein doppeltes: das Kind von der Krankheit heilen und ihm eine normale Entwicklung ermöglichen.
Aufwändige Abklärung
Vor einem chirurgischen Eingriff gilt es jedoch, sehr genau zu verstehen, wo im Gehirn die Anfälle entstehen und was genau passiert. Diese Abklärungen sind äusserst komplex und aufwändig. Sie umfassen neben gewohnten diagnostischen Verfahren wie MRI auch neuropsychologische Untersuchungen und Langzeit-Hirnstrommessungen unter Videoüberwachung, um Anfälle detailliert aufzuzeichnen. Spezialisiert auf diese Voruntersuchungen ist in Zürich die Epiklinik in der Lengg, bei Kindern zudem auch das Kinderspital. Die neurochirurgischen Eingriffe finden am USZ, bei Kindern seit Neuestem auch im Kinderspital statt – unter der Leitung von Niklaus Krayenbühl. «Die Zusammenarbeit zwischen den drei Kliniken funktioniert hervorragend», betont er. «Wo auch immer eine Patientin zum ersten Mal hinkommt: Gemeinsam suchen wir nach der besten Therapie und begleiten die Patientinnen und Patienten auf ihrem Weg, manchmal fast ein Leben lang.»
Der DOK-Film «Um jeden Preis» zeigt sehr eindrücklich den Weg von Nicolas. Für ein anfallsfreies Leben entscheidet er sich für den neurochirurgischen Eingriff, auch wenn dieser bei ihm riskant ist.