Skizze von DNA Analyse

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DNA-Analysen: (un)ethisch?

Publiziert am 13. Juni 2022

Schon vor der Geburt, ja sogar vor der Implantation eines Embryos, kann dessen Erbgut untersucht werden. Welche ethischen Fragen stellen sich dabei? Wir haben mit der Medizinethikerin Tanja Krones gesprochen.

„Der Umgang mit genetischen Informationen eines Kindes ist ein klassisches Thema in der Ethik“, weiss Tanja Krones. Die Leitende Ärztin leitet die Klinische Ethik am USZ und ist Mitglied der Nationalen Ethikkommission des Bundes. „Entgegen der landläufigen Meinung moralisiert die Fachethik nicht.“ Die Ethikerinnen und Ethiker beurteilen also primär nicht, was richtig oder falsch ist, sondern schauen genau hin, beachten verschiedene Aspekte, fragen nach. Es geht in erster Linie um die sorgfältige Unterstützung der Beteiligten. Und darum, die Menschen zu befähigen, wohlbegründete Entscheidungen zu treffen. Bei der genetischen Untersuchung von ungeborenen Kindern beispielsweise besteht ein Spannungsfeld zwischen den Rechten des Embryos und jenen der Frau bzw. des Paares, sich für oder gegen das Kind zu entscheiden. Im weltweiten Vergleich ist die Schweiz – wie andere mitteleuropäische Länder – bei der Diagnostik an Embryonen sehr restriktiv. Aus ethischer Sicht steht wohl ein christlicher Einschlag dahinter. Im 19. Jahrhundert wurde die befruchtete Eizelle von Papst Pius IX. sozusagen heiliggesprochen. „In unserer Kultur wird unterstellt, dass alles möglichst natürlich laufen soll und Paare unmoralisch handeln, wenn sie sich anders entscheiden“, erklärt Tanja Krones. Aus ethischer Sicht ist die Natur jedoch neutral, sie ist einfach da. Das macht das Argument der Natürlichkeit schwierig. „Heute befassen wir uns stark mit dem Thema, welche genetischen Untersuchungen Paare machen lassen und welche Resultate die Fachpersonen überhaupt mitteilen sollen“, sagt Tanja Krones. Zum einen, weil die Interpretation einer DNA-Sequenzierung oft schwierig ist. Zum anderen gibt es auch ein «Recht auf Nichtwissen». Werdende Eltern oder Geschwister der von Erbkrankheiten betroffenen Personen haben genauso das Recht, nicht zu wissen, ob ein Gendefekt vorliegt, wie das Recht, es zu wissen. Deshalb ist es so wichtig, die Menschen zu unterstützen, bevor sie einen Test machen. „Es braucht eine exzellente Aufklärung im Sinne von Shared Decision Making“, erklärt Tanja Krones.

Präimplantationsdiagnostik: (noch) wenig reguliert

Die Gründe für genetische Untersuchungen sind verschieden, zum Beispiel bei der Präimplantationsdiagnostik (PID): Ein Teil der Menschen, die sich dafür entscheiden, sind entweder selber von einer Erbkrankheit betroffen oder wollen einem zweiten Kind das Schicksal einer vererbten Krankheit ersparen. Diese Art der Selektion von Embryonen ist in der Schweiz zugelassen. Viel häufiger sind jedoch Abklärungen im Rahmen einer Fertilitätsbehandlung mit In-vitro-Fertilisation, um vor der Implantation des Embryos Fehlverteilungen von Chromosomen auszuschliessen und die Geburtschancen zu erhöhen. Diese Anwendung ist ethisch stärker umstritten als die PID für Eltern, die eine bekannte Veranlagung für genetisch bedingte Krankheiten haben. „Es ist unter anderem nicht sicher nachgewiesen, dass nach Ausschluss gewisser genetischer Konstellationen die Chance auf eine erfolgreiche Geburt höher ist“, erklärt Tanja Krones. Zudem ist es derzeit im Rahmen der PID in der Schweiz juristisch nicht ausdrücklich verboten, auch das Geschlecht des Kindes mitzuteilen. „Die rechtlichen Bestimmungen zur Auswahl der Embryonen sind bei der PID weniger restriktiv als bei der Pränataldiagnostik.“ Die Nationale Ethikkommission befasst sich deshalb zurzeit mit diesem Thema und erarbeitet Richtlinien zur PID, die das Fortpflanzungsgesetz konkreter auslegen sollen. „Es geht darum, bessere Hilfestellungen zu haben und ethische und rechtliche Ziele und Grenzen aufzuzeigen.“

Vom «Designerbaby» zum «Rettergeschwister»

Und was ist mit sogenannten «Designerbabys»? In der Schweiz sind wir weit davon entfernt, weil man gar nicht viel untersuchen darf. Und: Man kann mit genetischen Screenings zwar gezielt nach Krankheiten suchen. Die Resultate können aber weder zu 100 Prozent belegen, dass eine bestimmte Erkrankung vorliegt, noch dass das Kind tatsächlich vollständig gesund ist. „Wir alle tragen Mutationen in uns, die potenziell krankheitauslösend sind. Es gibt also keinen ‹genetisch perfekten Embryo›. Natürlich gibt es auf der Welt Praktiken, die in Richtung ‹Designer‑babys› gehen, zum Beispiel die Samenbanken von Nobelpreisträgern“, sagt Tanja Krones. „Die Nachfrage ist aber extrem klein.“ Ein relevanteres Thema sind die sogenannten Rettergeschwister. Wenige Länder lassen diese Praktik zu, nicht so die Schweiz: Paare haben ein Kind mit einer erblichen Mutation. Mit Stammzellen aus dem Nabelschnurblut eines Geschwisters könnte das Kind geheilt oder sein Zustand verbessert werden. Dem Paar werden daher nur Embryonen eingesetzt, bei denen die entsprechende Antigen-Kompatibilität vorliegt. „Hier wird oft argumentiert, Kinder dürften nicht zum reinen Zweck der Heilung eines Geschwisters zur Welt gebracht werden „, weiss Tanja Krones. „Deshalb klärt man bei diesen Paaren immer gründlich ab, ob unabhängig davon ein weiterer Kinderwunsch besteht.“

Eine weitere Debatte dreht sich darum, ob man vererbliche Mutationen nicht schon abchecken soll, bevor man Kinder zeugt. In der Schweiz bleibt die Frage bis heute unbeantwortet, auf welche Krankheiten und Mutationen zum Beispiel die Spermien von Samenspendern untersucht werden sollen. Die Schweizer Samenbanken screenen zwar auf bestimmte Erkrankungen, über das, was genau gescreent wird, wird aber nicht transparent diskutiert. In anderen Ländern geht diese Diskussion schon viel weiter, zum Beispiel in Zypern. Das Land hat eine hohe Prävalenz für Thalassämie, eine genetisch bedingte Blutkrankheit, und es gibt bereits Screenings von Paaren, ob sie Träger dieser Krankheit sind. Darüber hinaus wird – nicht nur in Zypern, sondern auch in anderen Ländern wie den USA – ernsthaft darüber diskutiert, ob das Screening für vererbbare Krankheiten schon auf Tinder stattfinden soll. Verabreden würde sich also nur, wer weiss, dass kein Risiko einer vererbbaren Krankheit vorhanden ist.

Die grosse Frage bleibt letztlich, wie Ärztinnen, Hebammen, betroffene Menschen, Kinder und Ethiker mit den vielen Möglichkeiten, vor allem aber den schwierig zu interpretierenden Informationen bestmöglich umgehen sollen. Und die Antworten darauf sind nicht schwarz-weiss – etwas Schicksalhaftes wird auch im Zeitalter immer besserer DNA-Analysen bleiben.