David Tscholl und Christoph Nöthiger

Story

Digitaler Patient hilft bei Operationen

Zuletzt aktualisiert am 14. Mai 2024 Erstmals publiziert am 10. April 2024

Die Ähnlichkeit mit dem Lebkuchenmann ist ihm nicht abzusprechen. Er ist der «Digital Twin» jedes Menschen, der sich am USZ einer Operation unterziehen muss, und erhöht wirksam die Patientensicherheit: der Visual Patient.

Die Idee kam ihm bei seiner grossen Leidenschaft: der Fliegerei. «Im Flugzeug kann ich auf Monitoren meine Flugumgebung in einer einfachen Darstellung betrachten. Da überlegte ich: Weshalb muss ich im Operationssaal ständig viele einzelne Kurven, Zahlen und Graphen anschauen und analysieren? », so der Erfinder des Visual Patient, David Tscholl. Vor über zehn Jahren teilte der Anästhesist seine Gedanken mit Christoph Nöthiger, Leitender Arzt am Institut für Anästhesiologie. Auch er ist begeisterter Pilot und erkannte den Nutzen und das Potenzial im Operationssaal sofort.

Vom Arbeiten ohne Fehler

Inmitten komplexer Operationen, anspruchsvoller Fälle und langer Tage ist fehlerfreies Arbeiten eine Herausforderung. Die steigende Anzahl Parameter auf den Patientenmonitoren erschwert den Überblick zusätzlich. Während vor einigen Jahren noch drei oder vier Parameter abgebildet wurden, sind es heute mehr als ein Dutzend farbenfrohe und sich bewegende Kurven und Zahlen. «Wir müssen fehlerlos arbeiten. Entscheide, die wir unter Zeitdruck treffen, bestimmen möglicherweise über den Erfolg der Operation, allfällige Komplikationen oder gar Leben und Tod des Patienten», erklärt Christoph Nöthiger die Problematik. Je grösser die psychische und physische Belastung der Mitarbeitenden, desto grösser ist auch das Risiko für Fehler.

Von visuellen Wesen

Genau hier setzt der Visual Patient an. Auf dem animierten Avatar können sämtliche wichtigen Vitalfunktionen visuell abgebildet werden: Körpertemperatur, Herzfrequenz, Blutdruck oder Sauerstoffsättigung beispielsweise. «Der wichtigste Teil am Visual Patient ist das Visuelle. Als visuelle Wesen nehmen wir optische Veränderungen schnell wahr», erklärt David Tscholl. So können kritische Veränderungen am Zustand der Patienten aus dem Augenwinkel erkannt werden – ohne dass Anästhesistinnen sich dauernd auf viele einzelne Zahlen kontenzentrieren müssen.

«Als visuelle Wesen nehmen wir optische Veränderungen schnell wahr.»

David Tscholl, Oberarzt am Institut für Anästhesiologie

Fällt beispielsweise die Körpertemperatur, so tauchen um den Avatar herum Schneekristalle auf, die gut erkennbar sind. Gemäss Christoph Nöthiger erhöht sich dadurch das Bewusstsein für die Situation enorm: «Mit den einfach dargestellten, animierten visuellen Hinweisen wird die Aufnahme der Situation erheblich vereinfacht, und die Reaktion der Spezialistinnen erfolgt schneller.» Der Visual Patient ersetzt die menschliche Expertise keineswegs. Die Reaktiontion auf die Warnung kommt noch immer von den Spezialisten – und das wird vorläufig auch so bleiben: Der Visual Patient gibt nur an, wenn ein Wert zu hoch oder zu tief ist. «Die Fachkenntnis bleibt enorm wichtig», sind sich beide sicher.

Digital Twin auf dem Monitor

Vom Innovationsgeist am USZ

Vor etwas mehr als fünf Jahren hatten die beiden USZ-Fachleute genug über den Visual Patient geforscht, dass sie gemeinsam mit Philips an einem ersten Prototypen arbeiten konnten. Mit dem Resultat sind sie sehr zufrieden. Der Visual Patient ist weder zu detailliert noch zu stark vereinfacht. Er ist gender- und hautfarbenneutral. «Ausserdem repräsentiert er alle Altersklassen, was uns bei der Konzipierung besonders wichtig war», erläutert David Tscholl. Zudem strahlt er Ruhe aus: Eine bei Kinderanästhesisten durchgeführte Studie hat ergeben, dass Kinder den Visual Patient faszinierend finden und so vor einer Operation entspannter sind. Auch bei den Kolleginnen und Kollegen in der Klinik kommt er laut Christoph Nöthiger gut an: «Nach drei Monaten hat bereits mehr als die Hälfte der Befragten in einer Studie schon Situationen erlebt, in denen der Visual Patient geholfen hat.» Heute ist der Visual Patient neben dem USZ an den Universitätskliniken Bonn und Heidelberg sowie im New York Presbyterian Hospital im Einsatz.

Die Strukturen am USZ und an der Universität Zürich waren für die Entwicklung des Visual Patient entscheidend: «Der Innovationsgeist im Haus ist beeindruckend. Nur so können wir die Medizin weiterbringen und Forschung betreiben, die der Patientensicherheit dient und damit direkt den Patientinnen und Patienten hilft», sagt David Tscholl.

Zuständige Fachpersonen

David Tscholl, PD Dr. med.

Oberarzt, Institut für Anästhesiologie

Tel. +41 43 253 94 51
Spezialgebiete: Allgemeinanästhesie, Forschung

Christoph B. Nöthiger, Dr. med.

Leitender Arzt, Institut für Anästhesiologie

Tel. +41 44 255 38 85
Spezialgebiete: Notfallmedizin , Kinderanästhesie, Patientensicherheit

Verantwortlicher Fachbereich