Vor wenigen Tagen hat die Weltgesundheitsorganisation WHO eine sogenannte "Policy Brief" zum Thema Patient Blood Management herausgegeben: Eine Behandlungsrichtlinie, die weltweit zur Umsetzung empfohlen wird. Einer der Co-Autoren ist Donat Spahn, Direktor des Instituts für Anästhesiologie am USZ und Vorreiter dieses Behandlungskonzepts. Im Gespräch erzählt er, wie er auf das Thema kam und welche Ziele er noch erreichen möchte.
Donat Spahn, Sie forschen seit Jahrzehnten zu Patient Blood Management und haben dessen Umsetzung am USZ vorangetrieben. Nun erklärt es die WHO zum weltweiten Standard – was bedeutet das für Sie?
Lange Zeit wurde das Thema nicht wirklich ernst genommen. In Forschung und Klinik haben wir den Nutzen aber immer wieder nachgewiesen und das Konzept weiterentwickelt. Nun erhebt es die WHO zum internationalen Benchmark. Das ist echt cool! Damit erhält es deutlich mehr Gewicht und Unterstützung.
Sie haben sich schon früh mit diesem Thema befasst. Was hat Sie überhaupt darauf gebracht?
Als junger Anästhesist Mitte der 80er Jahre wurde ich am USZ in die Herzchirurgie eingeteilt. Das war damals eine ziemlich blutige Sache, minimalinvasive Chirurgie gab es noch kaum. Ich habe damals beobachtet, dass es denjenigen Patientinnen und Patienten, denen viele Blutprodukte zugeführt wurden, im Vergleich zu anderen Patienten nach der Operation schlechter ging. Sie erholten sich langsamer, hatten mehr Infekte, mehr Komplikationen und sie verstarben auch häufiger.
Der Erfolg von Patient Blood Management ist erwiesen, am USZ ist es Standard – wieso ist es das nicht überall?
Fast überall in der Schweiz werden einzelne Aspekte von Patient Blood Management umgesetzt: Ein Eisenmangel wird im Vorfeld oft therapiert und Bluttransfusionen werden eher zurückhaltend eingesetzt. Richtiges Patient Blood Management ist aber ein umfassendes Konzept, das sämtliche Aspekte berücksichtigt, von der prä-operativen Anämiebehandlung über die intraoperative Minimierung des Blutverlusts mit blutsparenden Operations-Techniken bis hin zur postoperativen medikamentösen Behandlung einer Anämie. Ich kenne kein anderes Spital, welches dies so konsequent umsetzt wie das USZ.
Das klingt aber eigentlich nicht so kompliziert – oder täuscht das?
Es klingt vielleicht trivial, ist es aber nicht. Um einen Patienten mit Blutarmut rechtzeitig auf eine grosse OP vorzubereiten, müssen wir mit 2-3 Wochen Vorlauf die Operation und das OP-Datum kennen. Am USZ ist das Klinikinformationssystem heute so programmiert, dass wir automatisch avisiert werden, wenn solche grossen Operationen angemeldet werden. So können wir umgehend mit der Betreuung und Behandlung dieser Patientinnen und Patienten beginnen. Das übernimmt bei uns eine professionelle Patient Blood Managerin.
Es bedingt also eine übergreifende Organisation. Lohnt sich der Aufwand wirklich?
Bis das Konzept in einem System verankert ist, braucht es sicher eine treibende Kraft, jemand der hartnäckig ist, einen langen Atem hat und Überzeugungsarbeit leistet. Der Nutzen ist aber riesig: Die Patienten erholen sich rascher und haben weniger Komplikationen. Und es senkt die Kosten: Am USZ sparen wir so pro Jahr rund die Hälfte der Blutprodukte ein, was etwa vier bis fünf Millionen Schweizer Franken entspricht. Eine win-win-Situation!
Sie wollten also herausfinden, ob das Outcome besser ist, wenn man weniger Blut transfundiert?
Ja, viele dieser Patienten hatten während und nach der Operation tiefe Hämoglobin-Werte (Blutfarbstoff, der für den Sauerstoff-Transport verantwortlich ist). Gemäss damaliger Lehrmeinung waren Bluttransfusionen zwingend. Dazu kam ein zweites Element: In den 80er Jahren gab es auch in Europa mehrere Skandale wegen HIV-Übertragungen durch Bluttransfusionen. Patienten wollten deshalb keine Bluttransfusionen erhalten. Das hat uns gezwungen, neue Wege zu suchen.
Mit welchem Ergebnis?
Wir begannen, regelhaft tiefere Hämoglobinwerte während und nach den Operationen zu tolerieren. Dabei haben wir festgestellt, dass die Patienten tiefe Hämoglobinwerte bis zu einem gewissen Grad sehr gut vertragen. Um gar nicht erst in sehr tiefe Hämoglobinwerte zu gelangen haben wir zum zweiten begonnen, bei Patienten mit vorbestehender Blutarmut die Blutbildung mittels Medikamenten bereits 10-14 Tage vor der Operation zu stimulieren und Eisenmangel mit einer Eiseninfusion zu therapieren. Damit konnten die Patienten mit normalen Werten in die Operation starten.
Das hat mich fasziniert. Ich bin dann zu einem Forschungsaufenthalt für 3 Jahre in die USA gegangen und habe auf diesem Gebiet weiter geforscht. Seither hat es mich nie mehr losgelassen.
Patient Blood Management ist nun WHO-Standard – sind Sie damit am Ziel?
Sicher nicht! Ich hoffe, dass Patient Blood Management dank der WHO auch in der Schweiz einen Boost erfährt. Davon würden tausende von Patientinnen und Patienten profitieren. Aber eine grosse Hürde bleibt: Für die Behandlung bestimmter Anämien brauchen wir Erythropoetin. Die Krankenkassen übernehmen diese Kosten bis heute nicht. Das bremst die Umsetzung. Denn nicht alle haben das Glück, über einen Innovationsfonds unterstützt zu werden wie das USZ.