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«Der Begriff ‹Digitale Demenz› ist irreführend»

Wir leben in einer digitalen Welt. Telefonnummern müssen wir schon lange nicht mehr auswendig lernen. Alles kann im Internet nachgeschaut werden. Werden wir deshalb «digital dement»? Neurologe Hans Jung zum (vermeintlichen) Phänomen.

Hans H. Jung, Leitender Arzt Neurologie

​Hans Jung, immer mal wieder taucht der Begriff «Digitale Demenz» in den Medien auf. Was ist damit gemeint?

Da muss man unterscheiden: Einerseits wird damit die Gefahr umschrieben, dass das kollektive Gedächtnis ganzer Kulturen verloren gehen könnte, weil analoge Datenträger wie Papier, Videokassetten und Floppy Disks zerfallen oder nicht mehr lesbar sind. Andererseits handelt es sich beim vor allem in der Medienpsychologie populären Begriff um die Annahme, dass sich die intensive Nutzung digitaler Quellen wie Internet, Smartphone oder soziale Medien direkt auf das menschliche Gehirn auswirkt.

Und, ist da was dran?

Das ist schwierig zu beantworten. Ist täglich 18 Stunden joggen oder lesen gesund? Muss es nicht unbedingt sein, denke ich. An der Memory Clinic, wo wir bei Verdacht auf Demenzerkrankungen entsprechende Abklärungen durchführen, verwenden wir den Begriff «Digitale Demenz» auf jeden Fall nicht.

Kein Thema also für Sie als Neurologe?

Das würde ich nicht so sagen. Ein Überkonsum am Computer und von digitalen Medien kann gesundheitsgefährdend sein. In diesem Zusammenhang jedoch von «Digitaler Demenz» zu sprechen, finde ich nicht korrekt. Das ist der falsche Begriff. Weshalb? Bei Demenz handelt es sich um den krankheitsbedingten Verlust von Gehirnfunktionen. Darin unterscheidet diese sich grundlegend von der «Digitalen Demenz». Führt eine übermässige Nutzung von digitalen Medien zu einer Veränderung des Verhaltens oder der kognitiven Fähigkeiten, so gründet dies wohl eher in psychischen Umständen. Etwa in einer gesellschaftlichen Isolation oder im Fehlen zwischenmenschlicher Interaktionen, beziehungsweise in einer Depression. Ob nun krankheitsbedingte oder «digitale» Demenz: In beiden Fällen gilt gleichermassen, dass soziale Interaktion und reale «Kopfarbeit» mit die wirkungsvollsten Vorbeugungsmassnahmen sind.

Wenn wir schon dabei sind: Wie halte ich mein Gehirn überhaupt fit – heute, morgen und übermorgen?

Wer sich körperlich wie geistig ausreichend betätigt, der macht wie erwähnt schon mal einiges richtig. Insofern weisen digitale Mittel in besonderen Situationen mitunter sogar einen Nutzen auf. Ich denke da zum Beispiel an ältere Menschen, die dank Smartphone oder Tablet Kontakt halten können zu ihren Angehörigen oder die Möglichkeit haben, online Denkaufgaben zu lösen. Wie bei fast allem im Leben kommt es auch hier vor allem auf eines an: in welchem Masse man etwas nutzt, betreibt oder konsumiert. Das war schon vor fünfhundert Jahren bei Paracelsus so – und das gilt auch für das digitale Zeitalter.

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