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Denken beim Gehen – Demenz frühzeitig erkennen

Viele kennen das: Sie sitzen vor ihrem Computer, der Cursor blinkt, aber der Knoten im Kopf will und will sich nicht lösen. Schliesslich entnervt den Laptop zugeklappt, die Schuhe gebunden und raus: Eine Joggingrunde im Wald drehen, nichts denken, einfach den Kopf leeren. Und plötzlich ist sie da, die zündende Idee!

​Das menschliche Hirn ist ein wahrer Supercomputer. Es ist in der Lage, eine Unmenge an Informationen zu verarbeiten, abzuspeichern, wieder hervorzuholen, einzuordnen. Insbesondere ist das Hirn in der Lage, gewisse Abläufe so abzuspeichern, dass sie sozusagen automatisch abgerufen werden können. Dazu gehört unter anderem das Gehen und Laufen. Ein gesunder Mensch braucht sich auf das gewöhnliche Gehen nicht zu konzentrieren, der «Arbeitsspeicher» des Gehirns bleibt für andere Tätigkeiten frei. Aber wie ist das bei Menschen mit eingeschränkter Hirnfunktion, mit Demenzerkrankungen?

Erhöhtes Sturzrisiko deutet auf kognitiven Abbau hin

Bereits nachweisen konnte die Memory Klinik des Zentrums für Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER in Basel folgenden Zusammenhang: Menschen, die Gangunsicherheiten zeigen, wenn sie gleichzeitig Denkaufgaben lösen müssen, haben ein erhöhtes Risiko für einen Sturz in den nächsten sechs Monaten. Anscheinend sind bei ihnen die Automatismen des Gehens nicht mehr vollständig gewährleistet. Werden sie während des Gehens durch Denkarbeit «abgelenkt», wird der Gang unsicherer.

In einer Studie will nun Maria Blatow, Leitende Ärztin auf der Neuroradiologie am Universitätsspital Zürich, einen Schritt weitergehen und diesen Zusammenhang mittels funktionellem MRI darstellen. „Mit dem funktionellen MRI können wir abbilden, welche Bereiche im Hirn arbeiten», erklärt Maria Blatow. „Unsere Patienten imitieren im MRI-Gerät über eine Art Tretmaschine das Gehen und bekommen zugleich Denkaufgaben gestellt. Wir fordern also das Gehirn mit zwei Aufgaben gleichzeitig und sehen im MRI, was im Hirn vor sich geht.“ Die Hypothese: Bei einem Menschen mit Frühformen einer Demenzerkrankung und damit eingeschränkter Leistungsfähigkeit des Gehirns, werden solche Doppelaufgaben schlechter gelöst.

Früherkennung als Ziel – oder psychologische Entlastung?

Um einen solchen Zusammenhang zeigen zu können, werden in der Studie sowohl gesunde als auch erkrankte Menschen untersucht. Wie die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Oana Georgiana Rus-Oswald erklärt, stehen die Forschenden noch ganz am Anfang der Studie und suchen daher weitere Probanden. «Interessierte Personen müssen bereit sein, im Abstand eines Jahres zwei Mal rund drei Stunden zu uns zu kommen und u. a. eine ca. einstündige MRI-Untersuchung durchführen zu lassen.» Frau Rus-Oswald, die das Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Neuroradiologie am USZ führt, weist darauf hin, dass das MRI mit einem Magnetfeld und nicht etwa mit Strahlung funktioniert.

Ziel der Studie ist es, erste Anzeichen einer Demenz frühzeitig anhand von fehlerhaftem Zusammenspiel von Hirnbereichen bei der Doppelaufgabe zu erkennen. Dadurch hätten Betroffene die Chance, mit allfälligen Therapien – und sei es nur „Gehirnjogging“ – frühzeitig zu beginnen. „Oftmals geht es aber auch darum, Ängsten zu begegnen », ergänzt Maria Blatow. Immer wieder erlebt sie Menschen mit dementen Verwandten, die sich Sorgen machen, selbst an Demenz zu erkranken. «Diese Menschen leiden unter einer grossen psychischen Belastung und haben Interesse an der Früherkennung von Demenz. Unsere Studie könnte künftig dank einer solchen funktionellen Untersuchung einen Beitrag dazu leisten.»

Erste Resultate zu dieser Studie werden in rund einem Jahr erwartet. Daran beteiligt sind die Klinik für Neuroradiologie und die Memory Klinik der Klinik für Neurologie des USZ sowie das Zentrum für Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER in Basel.

Maria Blatow, PD Dr. med., arbeitet seit 2018 am USZ als leitende Ärztin und ist stellvertretende Klinikdirektorin der Klinik für Neuroradiologie.

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