Alexander Stuber (58) bekam schon als Kleinkind die Diagnose Bluterkrankheit. Er lernte früh, mit der Krankheit umzugehen, leidet aber an den Folgeschäden. Heute gibt es prophylaktische Medikamente.
„Als ich zwei Jahre alt war, fiel ich nachts aus dem Bett. Ich schlug mit dem Gesicht an der Heizung auf, mein Mund blutete und blutete – und hörte einfach nicht mehr auf. Ich lebte damals wie heute in Braunwald, wo meine Familie das Hotel Tödiblick führte. Das Kinderspital Zürich fand heraus, weshalb ich fast verblutet wäre: Hämophilie, also Bluterkrankheit. Das heisst, dass das Blut bei Verletzungen nicht oder nur ungenügend gerinnt. Ich hatte das Glück, dass meine Mutter bald einen pragmatischen Umgang damit fand. Sie erlebte einen Schlüsselmoment, bei dem sie realisierte, dass auch Bluter gewisse Risiken eingehen müssen, um ein lebenswertes Leben zu führen: Sie wollte die Rinde einer Scheibe Zopf für mich abschneiden, um einer Verletzung im Gaumen vorzubeugen. Die Absurdität der Situation machte ihr klar, dass sie mich nicht das ganze Leben lang in Watte packen kann. Seither durfte ich mehr Freiheiten geniessen und ging sogar reiten. Die grösste Gefahr bestand darin, dass eine Verletzung, zum Beispiel des Kopfes oder eines Muskels, zu tödlichen inneren Blutungen führen könnte.
Als Kind oft im Spital
Ich musste immer wieder ins Kantonsspital Glarus, aber auch ins Kinderspital in Zürich und ins USZ. Meist wegen innerer Blutungen an den Gelenken, die oft ohne ersichtlichen Grund entstanden. Im Spital hiess es jeweils «ruhigstellen». Das bedeutete, dass ich einige Wochen im Bett liegen musste.
Im Spital hatte ich keine Schmerzen und genoss gute Gesellschaft. Ich freundete mich zum Beispiel mit einem Jungen an, der an Leukämie litt, und mit einem magersüchtigen Mädchen. Ich fand es spannend, mich um sie zu kümmern, und wurde ein richtiger Spitalfan. Ich wollte sogar Krankenpfleger oder Arzt werden. Nach der Ruhigstellung versteiften sich jeweils meine Gelenke, und ich musste sie mit Physiotherapie wieder beweglich machen und Muskeln aufbauen. Heute habe ich als Folge der zahlreichen Vorfälle eine Knieprothese am linken Bein und ein steifes rechtes Knie mit verkürzten Sehnen. Zudem habe ich eine Prothese am rechten Fussgelenk.
Mit meinem Schicksal habe ich nie gehadert. Meine Krankheit hat, wie alles im Leben, Vor- und Nachteile. Ich lese dadurch zum Beispiel mehr, und ich musste nicht ins Militär. Für mich wird es wohl auch einfacher, mit den Tücken des Alterns klarzukommen, denn ich lernte früh, mit körperlichen Einschränkungen zu leben. Meine Frau und ich führen noch heute das Hotel Tödiblick. Die körperlich schwere Arbeit übernimmt meine Frau. Ich glaube, dass jeder Mensch in seinem Leben eine bestimmte Portion Glück zugute hat. Deshalb fordere ich mein Schicksal nicht heraus, sondern bin vorsichtig. Mein Glück spare ich lieber auf, falls etwas wirklich Schlimmes passieren sollte.
Gewaltiger Fortschritt
Seit zwei Jahren spritze ich mir alle vier bis sechs Tage Medikamente, die meine Blutgerinnung normalisieren. Nebenwirkungen spüre ich keine. Die Medikamente verbesserten sich in den letzten Jahren extrem und nahmen der Krankheit ihren Schrecken. Dafür bin ich sehr dankbar. Meine Hämophilie ist wohl genetisch vererbt – obwohl die Krankheit in der Familie nicht bekannt war. Dies wurde klar, als mein Bruder die gleiche Diagnose erhielt wie ich. Ich bin verheiratet und habe drei Töchter. Sie alle können die Krankheit aus genetischen Gründen an ihre Söhne weitervererben, im Normalfall aber nicht an Töchter. Sie selbst sind nicht betroffen. Für mich stellte sich nie die Frage, auf Kinder zu verzichten, weil das Leben auch mit der Krankheit lebenswert ist.
Heute bin ich etwas weniger am USZ als früher – noch etwa zweimal pro Jahr. Die Hämophilie ist relativ selten, sodass es Spezialisten braucht. Ich habe chronische Schmerzen, aber ich nehme möglichst wenig Schmerzmittel. Am USZ wurde ich immer sehr kompetent und menschlich betreut – meistens von Frauen.“