Illustration Hirntumor

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Ein Antidepressivum gegen Hirntumoren

Zuletzt aktualisiert am 23. September 2024 Erstmals publiziert am 20. September 2024

Viele Krebsmedikamente scheitern bei der Behandlung von Gehirntumoren an der Blut-Hirn-Schranke – die Wirkstoffe gelangen erst gar nicht zum Tumor. In einer Studie der ETH Zürich und des Universitätsspitals Zürich erwies sich nun ein bekanntes Antidepressivum, das diese Barriere überwindet und Krebszellen wirksam bekämpft, als vielversprechende Lösung.

Das Glioblastom ist ein aggressiver Gehirntumor, der bisher nicht heilbar ist. Betroffenen kann mit einer Operation, Chemotherapie und Bestrahlung mehr Lebenszeit verschafft werden, die Hälfte der Patientinnen und Patienten stirbt jedoch innerhalb von zwölf Monaten nach der Diagnose.

Die medikamentöse Behandlung wuchernder Gehirntumoren steht vor besonderen Problemen: Viele Krebsmedikamente versagen bei Hirntumoren, weil die Blut-Hirn-Schranke verhindert, dass die Wirkstoffe ins Gehirn gelangen. Forschende um ETH-Professor Berend Snijder haben nun einen Wirkstoff gefunden, der Glioblastome zumindest im Labor wirksam bekämpft. Dabei handelt es sich um das Antidepressivum Vortioxetin und verwandte Substanzen. Von dem Medikament ist bekannt, dass es die Blut-Hirn-Schranke passieren kann, zudem ist das Antidepressivum u.a. durch Swissmedic zugelassen und kostengünstig.

Gefunden hat es Snjiders Postdoktorandin Sohyon Lee gemeinsam mit Tobias Weiss, Oberarzt der Klinik für Neurologie am USZ, mithilfe der Pharmakoskopie, einer speziellen Screening-Plattform, die die Forschenden in den vergangenen zehn Jahren an der ETH Zürich entwickelt haben.

Hunderte Substanzen werden gleichzeitig getestet

Mit der Pharmakoskopie können die ETH-Forschenden gleichzeitig hunderte von Wirkstoffen an lebenden Zellen aus menschlichem Krebsgewebe testen. In ihrer Studie konzentrierten sie sich vor allem auf neuroaktive Substanzen, die die Blut-Hirn-Schranke passieren, wie zum Beispiel Antidepressiva, Antiparkinsonmittel oder Antipsychotika. Insgesamt testeten sie mehr als 130 verschiedene Mittel an Tumorgewebe von 40 Patientinnen und Patienten, die kurz zuvor am Universitätsspital Zürich operiert worden waren und ihr dabei entnommenes Gewebe für die Forschung zur Verfügung stellten. Die ETH-Forschenden nutzten zudem ein Computermodell, um über eine Million Substanzen auf ihre Wirksamkeit gegen Glioblastome zu testen.

Antidepressiva überraschend wirksam

Bei den Tests zeigte sich, dass einige der getesteten Antidepressiva überraschend wirksam gegen die Tumorzellen waren. Vortioxetin erwies sich dabei als das wirksamste Antidepressivum. Auch in den anschliessenden Versuchen an Mäusen mit einem Glioblastom zeigte das Medikament eine gute Wirksamkeit, besonders in Kombination mit der aktuellen Standardbehandlung. In einem nächsten Schritt bereitet eine Gruppe von ETH- und USZ-Forschenden nun klinische Studien zur Verwendung von Vortioxetin zur Behandlung von Glioblastomen vor.

Medikament ist schon zugelassen und kostengünstig

«Der Vorteil von Vortioxetin ist, dass es bereits zugelassen und sehr kostengünstig ist», sagt Michael Weller, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsspital Zürich und Mitautor der Studie. «Es könnte deshalb nach den noch erforderlichen Studien die Standardtherapie bei diesem tödlichen Hirntumor ergänzen.»

Keine Selbstmedikation mit Vortioxetin

Die Wirksamkeit ist allerdings erst im Labor und in Mäusen nachgewiesen. Michael Weller warnt deshalb Patientinnen und Patienten davor, Vortioxetin ohne ärztliche Aufsicht einzunehmen. «Wir wissen noch nicht, ob das Medikament bei Menschen wirkt und welche Dosis erforderlich ist, um den Tumor zu bekämpfen. Deshalb sind klinische Studien notwendig.» Erweise sich Vortioxetin als wirksam, habe man jedoch erstmals seit Jahrzehnten einen Wirkstoff gefunden, der die Behandlung des Glioblastoms einen grossen Schritt voranbringt.

Verantwortliche Fachpersonen

Tobias Weiss, PD Dr. med. Dr. sc. nat.

Oberarzt, Klinik für Neurologie

Tel. +41 44 255 55 11
Spezialgebiete: Neuroonkologie

Michael Weller, Prof. Dr. med.

Klinikdirektor, Klinik für Neurologie

Tel. +41 44 255 55 00
Spezialgebiete: Neuro-Onkologie