Digitale Planung, massgeschneiderte Implantate und hochpräzise Operationen helfen bei schweren Gesichtsverletzungen, die Funktion und das Aussehen wiederherzustellen.
Im Schädel und besonders im Gesicht liegen Nerven, Muskeln, Sehnen und Gefässe mit wichtigen Funktionen eng beieinander. Diese Strukturen spielen in der Regel nebeneinander her und ermöglichen so das Atmen, Kauen, Sprechen, Sehen und die Mimik. Ein Unfall oder eine Erkrankung, die zu funktionalen Einschränkungen in diesem Bereich führen, sind deshalb schwerwiegend. Kommen sichtbare Folgen dazu, ist dies für Patientinnen und Patienten doppelt belastend. «Bei rekonstruktiven Eingriffen nach Gesichtsverletzungen ist die Wiederherstellung der Funktion das vorrangige Kriterium », sagt Maximilian Wagner, Leitender Arzt und stellvertretender Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am USZ. «Wir streben aber gleichzeitig immer auch ein ästhetisch bestmögliches Ergebnis für unsere Patientinnen und Patienten an.» Die Klinik versorgt Patienten, wenn Knochenstrukturen verletzt sind oder grosse Weichgewebe- und Knochenabschnitte ersetzt werden müssen. Fallweise findet dafür auch eine Zusammenarbeit mit den Spezialistinnen und Spezialisten der Augenklinik, der Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie, der Plastischen Chirurgie sowie der Neurochirurgie statt.
Der Gesichtsschädel – ein komplexes Gebilde
Zu den häufigsten Verletzungen, die chirurgisch in der Klinik versorgt werden, gehören Brüche des Gesichtsschädels. «Der Knochen der Augenhöhle ist besonders dünn», erläutert Maximilian Wagner. «Deshalb bricht er bei einem Schlag recht schnell und häufig gleich an mehreren Stellen. Und weil von Natur aus an dieser Stelle sehr grazile knöcherne Strukturen vorhanden sind, heilen diese Brüche nicht gut oder nicht in der optimalen Stellung. Für das Sehen kann dies dramatische Folgen haben, wenn dadurch das gesamte Auge nicht mehr in der korrekten Position ist. Der Patient sieht dann beispielsweise dauernd Doppelbilder. » Eine Orbitafraktur, wie diese Verletzung in der Fachsprache heisst, muss deshalb in vielen Fällen operativ versorgt werden. Ein weiterer Grund für Rekonstruktionen sind Knochen- und Weichteildefekte durch Erkrankungen. Krebserkrankungen im Gesichtsbereich können zum Verlust von Knochen, Weichgewebe oder beidem führen. Für die sichere Entfernung von Tumoren muss in manchen Fällen viel Substanz entfernt werden – mit entsprechenden Folgen für das Aussehen und funktionellen Einschränkungen.
Implantate und künstliche
Gewebe als Ersatz Für die Wiederherstellung werden verschiedene Methoden angewandt. Um Defekte zu rekonstruieren, kann künstliches oder körpereigenes Gewebe eingesetzt werden. Mit Implantaten aus Titan oder durch die Verlagerung von eigenem Knochen aus dem Schädel, dem Becken oder dem Wadenbein können fehlende knöcherne Strukturen rekonstruiert werden. « Die Möglichkeiten zur Wiederherstellung haben enorme Fortschritte gemacht », sagt Maximilian Wagner. Ein Grund dafür sind neue Hilfsmittel in der Planung und Vorbereitung der Operationen. Seit etwa neun Jahren können die Chirurgen dafür digitale Planungswerkzeuge einsetzen. Zwar wurden schon davor Implantate für den Ersatz zerstörter Knochenstrukturen verwendet. Die heute eingesetzten werden jedoch hochpräzise und passgenau für den Patienten oder die Patientin hergestellt. Grundlage dafür ist die moderne Bildgebung.
Nach kurzer Zeit sind die Implantate bereit
Die Daten für die Implantate werden an den Hersteller übermittelt, bei dem die Elemente beispielsweise aus Titan hochpräzise mit Laser gesintert werden. Nach wenigen Tagen treffen sie am USZ ein. «Diese Wartezeit, etwa nach einem Unfall, ist kein Nachteil », erläutert Maximilian Wagner. «Meistens bestehen noch einige Tage lang Schwellungen. Sofern ein Eingriff nicht notfallmässig zwingend ist, warten wir deshalb absichtlich einige Zeit ab, bis die Schwellung abgeklungen ist und das Bild nicht verfälscht.» Um die genaue Platzierung und Passgenauigkeit der Implantate vorab zu testen oder sie vor Ort herzustellen, wird bei Bedarf anhand der Bilddaten zusätzlich ein dreidimensionales Modell beispielsweise des Kiefers eines Patienten aus Kunststoff erstellt, an dem das Implantat vor der Operation eins zu eins angelegt werden kann. Weil die einmal erfassten Daten für die ganze Planung verwendet werden können, entfallen wiederholte und strahlenbelastende Untersuchungen. Ein weiterer Vorteil: Sind die Zähne im Rahmen der Verletzung mit betroffen, kann die spätere zahnärztliche Versorgung in Absprache mit dem behandelnden Zahnarzt gleich eingeplant und vorbereitet werden. Dadurch verkürzt sich die Behandlungsdauer für diese Patientinnen und Patienten um viele Monate.
Das Risiko von Komplikationen sinkt enorm
Dieser aufwendige Prozess lohnt sich. «Wir erzielen klar bessere Resultate für unsere Patienten», erklärt Maximilian Wagner. «Die Operationen dauern weniger lang, wir erleben während der Operation selten Unvorhergesehenes, und durch die hohe Präzision konnten wir beispielsweise das Risiko für Sehstörungen nach der Operation und andere Komplikationen enorm reduzieren.» Um die höchstmögliche Präzision zu erreichen, gleichen die Chirurgen während der Operation die Platzierung des Implantats mittels dreidimensionaler Bildgebung mit den Planungsdaten ab.
Die Bilder zeigen den Patienten das Resultat vorab
Die Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist mit diesem Prozess und ihrer Erfahrung weltweit führend in der Wiederherstellung und Rekonstruktion knöcherner Strukturen mit patientenspezifischen Implantaten. So werden nicht nur Unfallpatienten aus einem weiten Umkreis gleich ans USZ gebracht. Ein Teil der Patientinnen und Patienten kommt auch, um sich für einen Zweiteingriff beraten oder ihn hier durchführen zu lassen. «Es gibt verschiedene Gründe, warum etwa eine Verletzung nicht optimal versorgt werden konnte und eine Fraktur deshalb in einer Fehlstellung verheilte», erklärt Maximilian Wagner. «Mit einem nun geplanten Eingriff lässt sich das Ergebnis dann vielleicht noch einmal korrigieren und verbessern.»
Sichtbare Erinnerungen können belasten
Was gemacht wird, entscheidet die Patientin oder der Patient. Vor allem bei ästhetischen Anpassungen ist sehr verschieden, was jemanden stört oder nicht. «Bei jedem Blick in den Spiegel an einen Unfall oder eine Erkrankung erinnert zu werden, dauernd neugierige Blicke zu spüren, kann sehr belastend sein, auch wenn die Funktion nicht eingeschränkt ist.» Die Simulation des Resultats vorab ist auch für diese Patientinnen und Patienten hilfreich. Sie erhalten damit eine gute Grundlage, um entscheiden zu können, ob die Verbesserung, die mit einer weiteren Operation erzielt werden kann, ihren Wünschen und Vorstellungen entspricht.
Die Operationen bleiben anspruchsvoll
«Die Rekonstruktion der Augenhöhle ist chirurgisch sehr anspruchsvoll,weil das Augenumfeld sehr heikel ist», so Wagner. «Generell wollen wir sichtbare Narben vermeiden, wir führen die Implantate hier daher auf der Innenseite des Unterlids ein. Bei Kieferverletzungen müssen Ober- und Unterkiefer aufeinander abgestimmt werden, um gut zu schliessen. Schwierig sind auch Rekonstruktionen, bei denen beidseitig sehr viel Gewebe und Knochen ersetzt werden muss und wir beides neu aufbauen müssen. Wir wollen für jeden Patienten und jede Patientin das beste Resultat. Wenn uns das bei speziell schwierigen Ausgangslagen gelingt, freut uns das aber immer besonders.»