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Interview: Strahlentherapie bei Lungenkrebs

Zuletzt aktualisiert am 06. September 2023 Erstmals publiziert am 01. September 2023

Prof. Guckenberger, die Diagnose Lungenkrebs war früher faktisch ein Todesurteil. Wie sieht es heute aus?

Der Lungenkrebs gehört auch heute noch zu den aggressivsten Tumoren. Zugleich ist es aufgrund seiner Häufigkeit einer der am besten erforschten. Und er gehört zu denjenigen Krebsarten, bei denen wir in den letzten Jahren die grössten Fortschritte gemacht haben.

Was hat sich denn verändert?

Die Therapien sind individueller auf den individuellen Patienten und «seinen» Krebs abgestimmt und dadurch auch effektiver. In der Chirurgie sind heute Robotik-unterstützte, minimalinvasive Eingriffe möglich, die entsprechend schonender sind für die Patienten. In der medikamentösen Therapie haben wir mit Entwicklung der Immuntherapie neue Möglichkeiten. In der Radio-Onkologie erlauben modernste robotische Bestrahlungsgeräte eine punktgenaue Bestrahlung, auch Radiochirurgie genannt, die Lungentumore in ambulanter Therapie zielsicher abtöten kann. Mit Blick auf die älteren, zunehmend multimorbiden Patientinnen und Patienten muss neben der Frage nach dem Therapieziel immer auch jene nach dem Erhalt der Lebensqualität gestellt werden. Gerade hier hat die Strahlentherapie enorme Vorteile.

Wann ist die Strahlentherapie bei einem Lungenkrebs die Therapie der Wahl?

Bei praktisch allen Patientinnen und Patienten mit Lungenkrebs kommt eine Kombinationsbehandlung zur Anwendung. Die Strahlentherapie ist ein fester Bestandteil vieler Behandlungskonzepte: Vor einer Operation kann sie zur Reduktion des Tumorvolumens dienen und damit eine vollständige Entfernung des Tumors erst möglich machen. Manche Patienten sind nicht operabel, insbesondere, wenn sich der Tumor in den Lymphdrüsen ausgebreitet hat. Dann kommt die Strahlentherapie in Kombination mit Medikamenten und Immuntherapie zum Einsatz. Studien zeigen übrigens, dass die Ergebnisse einer modernen Strahlentherapie denen einer Operation vergleichbar sein können: Unsere Patientinnen und Patienten haben deshalb eine Wahl und können ihre Präferenzen über die Art der Behandlung einbringen.

Wie entscheiden Sie über das jeweilige Behandlungskonzept?

Das geschieht bei uns in den Tumorboards unter Einbezug aller Fachdisziplinen. Jeder Fall wird einzeln besprochen, verschiedene Möglichkeiten gegeneinander abgewogen, um den individuell besten Weg zu finden. Auch die Zuweisenden haben übrigens die Möglichkeit bei den Besprechungen ihrer Patienten dabei zu sein. Wenn wir uns aus ärztlicher Sicht für ein Behandlungskonzept entschieden haben, wird dieses anschliessend mit dem Betroffenen und oft auch den Angehörigen im Detail besprochen.

Viele Lungenkrebs-Patienten haben Metastasen oder erleiden ein Rezidiv. Welchen Stellenwert hat die Strahlentherapie in diesen Fällen?

Wenn der Tumor erst einmal gestreut hat, dann bildet die medikamentöse Tumortherapie, also Chemotherapie oder Immuntherapie, die wichtigste Behandlungssäule. Früher kam die Strahlentherapie nur dann zum Einsatz, wenn einzelne Metastasen Schmerzen verursacht haben oder andere lokale Probleme gemacht haben. Heute kann eine moderne stereotaktische Strahlentherapie die Wirksamkeit der medikamentösen Therapie verlängern und folglich dazu beitragen, die Erkrankung länger unter Kontrolle zu halten oder sogar vollständig zurückzudrängen.

Können Sie diesen Punkt etwas ausführen?

Bei einer medikamentösen Tumortherapie bilden sich irgendwann Resistenzen, das heisst der Tumor hat sich an das Medikament gewöhnt und wächst wieder. Wir sehen dann in der Verlaufskontrolle, dass sich zwar die allermeisten Metastasen zurückbilden oder stabilisieren, aber an einer oder wenigen Stellen wieder ein Wachstum einsetzt. Diese Metastasen gilt es mittels Strahlentherapie oder auch Operation auszuschalten, bei gleichzeitigem Fortführen der medikamentösen Therapie. Bei einem Teil der Patienten können sogar alle Absiedlungen so gezielt bestrahlt und abgetötet werden, dass der Tumor vollständig verschwindet.

Viele Zentren bieten Tumorbehandlungen an. Weshalb sollte sich ein Patient für das USZ entscheiden?

Studien haben gezeigt, dass die Überlebenschancen deutlich höher sind, wenn sich Patienten an einem zertifizierten Zentrum behandeln lassen. Das USZ verfügt mit dem Comprehensive Cancer Center über ein multidisziplinäres, DKG-zertifiziertes Tumorzentrum. Zudem betreiben wir intensive Forschung und können dadurch immer die neuesten Erkenntnisse und Therapiemöglichkeiten anbieten. Dass wir beim internationalen Newsweek Ranking direkt nach den ganz grossen amerikanischen Zentren erscheinen, ist weder Marketing noch Zufall. Es ist das Ergebnis einer umfassenden, langjährigen Systemleistung.

Gilt das auch spezifisch für das Thema Lungenkrebs?

Auf jeden Fall. Zürich ist ein absoluter Hot Spot in der Lungenkrebsforschung, mit Blick auf die Anzahl Studien und Publikationen sind wir europaweit führend. Wir haben mit Prof. Dr. Isabelle Schmitt-Opitz eine ausgewiesene Expertin in der Thoraxchirurgie, mit Spezialgebiet Pleuramesotheliom. Bis vor kurzem war sie Präsidentin der Europäischen Fachgesellschaft für Thoraxchirurgie. Ich selbst forsche ebenfalls intensiv zum Thema Lungenkrebs und präsidiere meinerseits zurzeit die europäische Gesellschaft für Strahlentherapie (ESTRO). Wir sind also unglaublich stark aufgestellt, mit internationalen Expertinnen und Experten. Und wir verfügen zusätzlich über die modernste technische Ausstattung – manche unserer Bestrahlungsgeräte gibt es nirgends sonst in der Schweiz. Unseren Patientinnen und Patienten können wir die absolut beste Therapie anbieten, wie sie sonst kaum zu finden ist.

Matthias Guckenberger, Prof. Dr. med.

Klinikdirektor, Klinik für Radio-Onkologie

Spezialgebiete: Therapie des Lungen Karzinom, Therapie des Prostata Karzinom, Therapie von Oligometastasen