Schon vor der Geburt, ja sogar vor der Implantation eines Embryos, kann dessen Erbgut untersucht werden. Welche ethischen Fragen stellen sich dabei? Wir haben mit der Medizinethikerin Tanja Krones gesprochen.
„Der Umgang mit genetischen Informationen eines Kindes ist ein klassisches Thema in der Ethik“, weiss Tanja Krones. Die Leitende Ärztin leitet die Klinische Ethik am USZ und ist Mitglied der Nationalen Ethikkommission des Bundes. „Entgegen der landläufigen Meinung moralisiert die Fachethik nicht.“ Die Ethikerinnen und Ethiker beurteilen also primär nicht, was richtig oder falsch ist, sondern schauen genau hin, beachten verschiedene Aspekte, fragen nach. Es geht in erster Linie um die sorgfältige Unterstützung der Beteiligten. Und darum, die Menschen zu befähigen, wohlbegründete Entscheidungen zu treffen. Bei der genetischen Untersuchung von ungeborenen Kindern beispielsweise besteht ein Spannungsfeld zwischen den Rechten des Embryos und jenen der Frau bzw. des Paares, sich für oder gegen das Kind zu entscheiden. Im weltweiten Vergleich ist die Schweiz – wie andere mitteleuropäische Länder – bei der Diagnostik an Embryonen sehr restriktiv. Aus ethischer Sicht steht wohl ein christlicher Einschlag dahinter. Im 19. Jahrhundert wurde die befruchtete Eizelle von Papst Pius IX. sozusagen heiliggesprochen. „In unserer Kultur wird unterstellt, dass alles möglichst natürlich laufen soll und Paare unmoralisch handeln, wenn sie sich anders entscheiden“, erklärt Tanja Krones. Aus ethischer Sicht ist die Natur jedoch neutral, sie ist einfach da. Das macht das Argument der Natürlichkeit schwierig. „Heute befassen wir uns stark mit dem Thema, welche genetischen Untersuchungen Paare machen lassen und welche Resultate die Fachpersonen überhaupt mitteilen sollen“, sagt Tanja Krones. Zum einen, weil die Interpretation einer DNA-Sequenzierung oft schwierig ist. Zum anderen gibt es auch ein «Recht auf Nichtwissen». Werdende Eltern oder Geschwister der von Erbkrankheiten betroffenen Personen haben genauso das Recht, nicht zu wissen, ob ein Gendefekt vorliegt, wie das Recht, es zu wissen. Deshalb ist es so wichtig, die Menschen zu unterstützen, bevor sie einen Test machen. „Es braucht eine exzellente Aufklärung im Sinne von Shared Decision Making“, erklärt Tanja Krones.