Story

Aufstehen, Krönchen richten, weitergehen

«Meine Mutter war gerade mal 32 Jahre alt, als bei ihr Darmkrebs diagnostiziert wurde. Meine Urgrosseltern sind an Krebs gestorben. Krebs ist so gesehen ein steter Begleiter meiner Familie. Und jetzt, ich kann es nicht anders sagen, ist die Reihe an mir.»

An meinem 41. Geburtstag hatte ich Blut im Stuhl. Mit einer Vorgeschichte wie der meinen macht man sich nichts vor. Trotzdem habe ich mich der Untersuchung vom 4. Juni mit einer gewissen Hoffnung gestellt. Vielleicht, dachte ich, sinds ja bloss Hämorrhoiden.

Ich weiss noch, wie ich im Gesundheitszentrum des USZ am Flughafen Zürich gelegen und aufs Rollfeld geschaut habe, als mir die Ärztin den Befund offenbart hat: Ein Tumor im Darm. Im selben Moment hob draussen vor dem Fenster ein Flugzeug ab. Mir ist nur ein Gedanke durch den Kopf geschossen: Ich will überleben, ich will leben.

Fünf Jahre auf Bewährung

Am 24. Juni wurde ich operiert. Ein tolles Team. Die Ärzte am USZ haben 20 Zentimeter meines Darms entfernt, 21 Lymphknoten inklusive. Obs gut kommt? Das kann man nicht abschliessend sagen. Derzeit mache ich grad eine Chemo. Die nächsten fünf Jahre bin ich quasi auf Bewährung. Mein Kopf ist fit, der Körper weniger. Die Energie reicht gerade, um fünfzig Prozent zu arbeiten. Das ist für mich das Härteste: Die Einschränkung, was den Job anbelangt. Denn ich arbeite unglaublich gerne.

Ich bin am Flughafen Zürich als Safety und Quality Manager tätig. Die Fliegerei ist meine Leidenschaft. Ich habe Kerosin im Blut. Meine erste Frage nach der Operation war denn auch, wann ich wieder arbeiten kann, nicht, ob ich wieder gesund würde. Ich kann einfach nicht zu Hause sitzen und Däumchen drehen. Ich muss etwas machen, sonst fällt mir die Decke auf den Kopf.

Mit meiner Geschichte gehe ich ziemlich offen um. Meine Freundinnen und Freunde wissen fast alle auch Bescheid über Hans-Georg. Hans-Georg, das ist mein Stoma, mein künstlicher Darmausgang. Ich musste dem Beutel irgendeinen Namen geben, das Ding ist mir ja momentan ziemlich nahe. Und Hans-Georg passt ganz gut, finde ich.

Nie den Mut verlieren

Einige meiner Arbeitskolleginnen und -kollegen haben mich auch schon zum Arzttermin begleitet. Und wieder andere haben mir von ihren eigenen Schicksalen erzählt oder davon, dass sie auch jemanden in der Familie mit Darmkrebs hätten. Kürzlich hat mich jemand auf einen zehn Jahre jüngeren Kollegen im Team aufmerksam gemacht, der dieselbe Diagnose erhalten hat wie ich vor einem halben Jahr – das ist heftig!

Für mich war der Krebs nie ein Begleiter, mit dem man gemeinsam eine Herausforderung meistern muss. Auch als Feindbild habe ich ihn mir nicht aufgebaut. Der Krebs hat mich ganz einfach überlistet. Diese Einstellung hilft mir, positiv zu bleiben. Das ist das Wichtigste: Du darfst nie den Mut verlieren. Aufstehen, Krönchen richten, weitergehen. So sehe ich das.

Macht einen Check!

Ich denke, die Fälle in meiner Familie, die ganze Vorgeschichte, sie haben dazu beigetragen, dass ich bei den ersten Anzeichen gleich zur Kontrolle gegangen bin und einen relativ pragmatischen Umgang mit dem Darmkrebs gefunden habe. Macht einen Check! Geht lieber zum Arzt, als im Internet zu googeln! Wartet nicht! Das ist mein Ratschlag an alle, die Symptome aufweisen. Im besten Fall entpuppt sich das Ganze als Lappalie, im schlechtesten hat man immerhin noch Zeit zu handeln.

Nach Diagnose wird die Nähe zur Familie wichtiger

Auch wenn ich momentan vor allem am Reagieren bin, so will ich doch schnellstmöglich wieder in den Modus «Agieren» gelangen. Ich freue mich darauf, Weihnachten bei meiner Familie in Deutschland zu verbringen. Als kinderlose Frau habe ich früher immer über die Festtage gearbeitet, das hat mir nichts ausgemacht. Jetzt merke ich, dass mir die Nähe zu meinen Eltern, zu meiner Schwester und meinem Neffen unglaublich viel bedeutet. Und dann will ich wieder fliegen. Ich will nach Dubai, ich will nach New York, ich will meine Freunde besuchen. Ich will reisen. Ich will leben! Und Hans-Georg, der kann dann gerne zu Hause bleiben.