Ein krankes Herz macht Angst. Selbst wenn medizinisch alles wieder in Ordnung ist, bleibt häufig eine Verunsicherung. In der psychokardiologischen Sprechstunde helfen unsere Fachleute Betroffenen zurück auf den Weg in den Alltag.
Vor wenigen Wochen hatte Jonas K. einen Herzinfarkt. Plötzlich und unerwartet wurde er aus seinem Alltag gerissen. Im Spital war er schnell medizinisch gut versorgt. Wenige Tage nach dem Ereignis konnte er bereits nach Hause. Alles wieder gut? Nochmals Glück gehabt? Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Auf diese Fragen hatte er keine Antworten.
«Mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten sind viele Patientinnen und Patienten selbst nach einem grösseren Eingriff am Herzen relativ schnell wieder zu Hause», bestätigt Aju Pazhenkottil, Facharzt für Kardiologie, Oberarzt und Spezialist für Psychokardiologie und Kardiale Bildgebung. Neben der akuten medizinischen Versorgung erhalten sie zahlreiche Informationen und Anleitungen für das Leben nach dem Ereignis. «Die Patienten sind häufig überfordert und verunsichert mit ihrer neuen Diagnose und den lebensbedrohlichen Situationen, aus denen sie gerettet wurden“, sagt Aju Pazhenkottil.
Über Ängste und Sorgen sprechen
Mitten in der Pandemie wurde Gustav S. mit einer koronaren Herzkrankheit konfrontiert. Gleich zwei Eingriffe musste er über sich ergehen lassen, seine Herzkranzgefässe waren arg in Mitleidenschaft gezogen. Der Kardiologe sagte ihm, man habe jetzt seine «Lebensuhr adjustiert», sein Hausarzt bestätigte ihm, er hätte wohl einen weiteren Infarkt nicht überlebt. Sein Leben geriet völlig aus den Fugen. Im Anschluss an den Spitalaufenthalt begab er sich in die ambulante Herz-Reha. «Das hat mir zwar gutgetan, ich habe aber schnell gemerkt, dass es nicht reicht. Die Physiotherapeutinnen haben mich auf die psychokardiologische Sprechstunde aufmerksam gemacht. Ich wusste von ähnlichen Angeboten aus der Onkologie.» Gustav S. schätzt, dass er in der Sprechstunde von Fachleuten betreut wird, die ihn sowohl psychologisch als auch kardiologisch unterstützen können. «Ich kann ‹technische› Fragen zu meinem Herzen oder zur aktuellen Medikation stellen. Dank dieser Gespräche habe ich ein besseres Verständnis dafür gewonnen, was eigentlich passiert ist mit meinem Herzen, und kann dadurch besser damit umgehen.»
Vielen Patienten, erklärt Aju Pazhenkottil, hilft es bereits, über ihre Ängste und Sorgen zu sprechen. Sie wissen, dass medizinisch mit ihrem Herzen soweit alles in Ordnung ist. Dennoch können sie im Laufe der Zeit eine Angststörung entwickeln, oder sie haben ein erhöhtes Risiko, an einer Depression zu erkranken. Das geschieht oft schleichend. Der Besuch beim Kardiologen oder der Hausärztin ist knapp getaktet, und der Fokus liegt meist auf den medizinischen Befunden.
Symptome richtig einordnen
«Das Herz ist besser geeignet, um von der Psyche ‹gekapert› zu werden, als andere Organe», erklärt Lena Jellestad, Psychiaterin und Oberärztin an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik. Das Herz, führt sie aus, kann man im Gegensatz zu anderen Organen hören und sogar spüren, dadurch aber auch Veränderungen unmittelbar bemerken, zum Beispiel einen schnelleren Herzschlag bei Angst. So kann ein Teufelskreis aus Angst und Zunahme der Beschwerden entstehen. Es ist daher wichtig, dass die Symptome von Ärzten richtig eingeordnet werden. Auch bei einer fehlenden organischen Ursache ist es wichtig, das Leid hinter den Symptomen zu sehen und anzuerkennen. Wenn die empfundenen Beschwerden derart ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Betroffenen rücken, dass sie sich aus Sorgen stark schonen, kaum sozialen Austausch mehr pflegen und sich viel weniger zutrauen, kann ihre Lebensqualität und oft auch die ihres Umfelds erheblich leiden.
Interprofessionelle Zusammenarbeit
Auch Hadassa Brito da Silva sieht viele Patientinnen und Patienten über längere Zeit in der Rehabilitation, etwa nach einem Herzinfarkt. Sie ist Physiotherapeutin und als Fachbereichsexpertin Kardiologische Therapie für die Therapie bei verschiedenen Herzerkrankungen zuständig. Im Rahmen der ambulanten Kardiologischen Rehabilitation kommen Patienten zwei bis drei Mal pro Woche in die Physiotherapie. Hadassa Brito da Silva stellt fest, dass sich besonders jüngere Betroffene oft nicht trauen, ihre Ängste und Unsicherheiten anzusprechen. Manche klagen über Schlaflosigkeit, andere wagen es nicht, ihre sportlichen Aktivitäten wieder aufzunehmen aus Angst, es könnte wieder etwas passieren. In der Physiotherapie können sie in einem sicheren Rahmen trainieren und Entspannungstechniken lernen. Dennoch benötigen sie häufig auch eine weiterführende psychologische Betreuung. Von grossem Vorteil ist da die enge interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen den Physiotherapeutinnen und dem psychokardiologischen Dienst, an den Hadassa Brito da Silva Patienten zuweisen kann.
In der körperlichen Unversehrtheit erschüttert
Nach einem Herzereignis zeigen viele Patientinnen und Patienten psychische Reaktionen wie Ängste oder depressive Verstimmungen. Sie sind in ihrer körperlichen Unversehrtheit erschüttert. Ohne entsprechende Behandlung kann es zu psychischen Beeinträchtigungen wie zum Beispiel Depressionen, Panikattacken oder einer posttraumatischen Belastungsstörung kommen, was wiederum eine verminderte Lebensqualität und ein schlechtes Gesundheitsverhalten zur Folge haben kann. Dadurch kann sich auch das Risiko eines erneuten Ereignisses erhöhen. Eine entsprechende Diagnose ist daher wesentlich für betroffene Patienten.
Jonas K. empfand es als eine «Frechheit» von seinem Körper, ihn einfach so im Stich zu lassen. «Nach dem Herzinfarkt konnte ich mich plötzlich nicht mehr darauf verlassen, dass mein Körper funktioniert. Das machte mir Angst», erinnert er sich. Nach so einem «Chlapf» sagt er, habe auch er sich gefragt: Was muss ich in meinem Leben ändern? Wo liegen meine Stressfaktoren? Wie gehe ich damit um, dass eine Krankheit in mir schlummert und mich mit meiner eigenen Endlichkeit konfrontiert? Er weiss, dass er eine Veränderung in seinem Leben anstreben muss, um die Muster der letzten Jahre zu durchbrechen. In der psychokardiologischen Sprechstunde kann er den Vorfall verarbeiten und Perspektiven reflektieren, wie es für ihn weitergehen soll. Er lernt dabei auch, seine Nöte und Sorgen zu formulieren.
Eine individuelle psychologische Betreuung
Das Ziel eines psychokardiologischen Angebots ist es, über die kardiologische Betreuung hinaus die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu verbessern, psychische Beeinträchtigungen zu lindern und das Risiko zu minimieren, solche zu entwickeln. Die Fachleute sind sich einig, dass es dafür eine enge Zusammenarbeit zwischen Kardiologen, Psychologinnen und Hausärzten braucht. Patientinnen und Patienten tendieren dazu, vorhandene Versorgungsmöglichkeiten nicht von sich aus zu nutzen. Es reicht also nicht, einfach zu fragen, ob sie bei der Arbeit oder zu Hause Stress hätten. Vielmehr müssen sie regelmässig differenziert und standardisiert nach ihrem Befinden befragt werden, damit sie, wenn nötig, schnell das Angebot einer adäquaten individuellen psychologischen Betreuung erhalten. «Die Hürde, psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen, ist hoch. Die interdisziplinäre Psychokardiologie-Sprechstunde bietet eine Schnittstelle zwischen Herz und Psyche. Uns geht es darum, die Patienten ganzheitlich zu betreuen und ihnen das Vertrauen in ihr Herz zurückzugeben», sagt Aju Pazhenkottil. «Die grosse Nachfrage nach dem Angebot der Sprechstunde für Psychokardiologie bestätigt die Wichtigkeit einer solchen niederschwelligen Anlaufstelle für Betroffene», ergänzt Lena Jellestad.
Jonas K. schätzt die Unterstützung, die er in der psychokardiologischen Sprechstunde erhält. Er empfindet die Gespräche als eine Art Brücke nach dem Spitalaufenthalt, die ihm hilft, den Weg zurück in den Alltag zu finden.