Unsere Verdauung ist ein erstaunliches System. Vom Mund bis zum Darmausgang legt ein Bissen Nahrung bis zu neun Meter zurück. Die Energieaufnahme geschieht im Dünndarm. Dessen Oberfläche ist sehr faltig; aufgespannt hätte er ungefähr die Fläche eines Tennisplatzes. Auf der Darmwand sitzen Tausende Zellen, die Nährstoffe aus dem Essensbrei aufnehmen und in die Blutbahn leiten. Im Dickdarm verdauen dann bis zu 39 Billionen Bakterien jene Nährstoffe, die der Dünndarm nicht verwerten konnte – vor allem Ballaststoffe und Kohlenhydrate. Der Rest wandert in den Enddarm und wird als Stuhl ausgeschieden.
Die biomedizinische Forschung konnte nachweisen, dass der Dickdarm grossen Einfluss auf unseren Stoffwechsel und unser Wohlbefinden hat. Er ist sogar Quelle einiger psychiatrischer Erkrankungen. Und mit der Bedeutung der Verdauung sei auch das Interesse der Bevölkerung an Ernährungsfragen gestiegen, sagt Gerhard Rogler: «Das Thema ist heute allgegenwärtig.»
Superfoods wie Avocado oder Quinoa sollen Menschen zu einem gesünderen Leben verhelfen, laktosefreie Milchprodukte und eine glutenfreie Ernährung die lästigen Verdauungsbeschwerden beseitigen. So zumindest die Erzählung aus der Werbung. Dabei lösen Food-Trends solche Beschwerden manchmal erst aus. Ballaststoffreiche Getreide wie Quinoa oder Hafer sind längst nicht für alle gut: Gewisse Menschen bekommen nach dem Essen Blähungen und Bauchschmerzen, auch wenn ihre Verdauung völlig gesund ist. «Dennoch denken heute viele gleich, sie hätten eine Unverträglichkeit», so Rogler. Der USZ-Experte hält auch Analysen von Stuhlproben in privaten Labors für fragwürdig, da diese nicht unter klinischen Bedingungen entstehen. «Und eine falsche Diagnose kann die Patienten unnötig ängstigen.»
Blähungen sind ganz normal
Eine Faustregel: Weniger als dreimal wöchentlich Stuhlgang deutet auf eine Verstopfung hin, häufiger als dreimal am Tag auf Durchfall. Doch diese Symptome müssen nicht von einer Erkrankung herrühren. Wie wir uns bewegen, was wir essen und psychische Faktoren wie Stress – das alles kann den Stuhl beeinflussen. Selbst Blähungen gehören zu einer gesunden Verdauung dazu. Denn die Bakterien im Dickdarm produzieren bei ihrer Arbeit auch CO2, Methan und Wasserstoff. Erst wenn Blähungen schmerzen, kann dies ein Anzeichen auf Infekte oder eine Lebensmittelunverträglichkeit sein. Jedoch können auch medikamentöse Behandlungen die Bakterienbevölkerung verändern.
Rogler und seine Kollegen erhielten in den letzten Jahren Hunderte von Mailanfragen von Menschen, die bei sich eine Unverträglichkeit vermuteten. Deshalb entschied sich die Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie eine spezielle Mikrobiom-Sprechstunde anzubieten, wo Patienten und Patientinnen ihre Fragen mit medizinischen Spezialisten besprechen können. Sie startet im Juli unter Leitung von Professor Michael Scharl. Zudem betreibt die Gastroenterologie am USZ Flughafen ein Funktionslabor, in dem sich mit neuester Technik unter anderem untersuchen lässt, ob eine Unverträglichkeit vorliegt.