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So funktioniert die Immuntherapie gegen Krebs

In der Bekämpfung von Krebs hat in den letzten Jahren die Immuntherapie für Schlagzeilen gesorgt. Wir wollten von Prof. Dr. med. Markus G. Manz, Leiter des Zentrums für Hämatologie und Onkologie am USZ wissen, wie Immuntherapie eigentlich funktioniert.

Prof. Manz, wie entsteht ein Tumor?

Das menschliche Immunsystem bewahrt den Körper vor Schäden durch infektiöse Erkrankungen, indem es «Eindringlinge» als fremd erkennt und abwehrt, aber gleichzeitig gesundes Gewebe erhält beziehungsweise dessen Regeneration zulässt. Bei Krebs handelt es sich zunächst einmal um körpereigenes, d.h. nicht fremdes Gewebe. Dieses trägt jedoch genetische Veränderungen in sich, die das unkontrollierte Wachstum auslösen und in gesundem Gewebe so nicht vorkommen. Häufig sind diese Veränderungen jedoch subtil, zeigen sich nicht ausreichend auf der Tumorzelloberfläche und nehmen in Art und Menge nur langsam zu. Das führt dann dazu, dass die Tumoren gesundem Gewebe sehr ähnlich sind und dass das eigene Immunsystem die Veränderungen entweder gar nicht erkennen kann und nicht aktiviert wird. Oder die Veränderung wird zwar erkannt, aber die Immunantwort wird unterdrückt, d.h. dass eine Art Immun-Toleranz auftritt. Das Resultat ist eine fehlende oder unzureichende Immunantwort und damit ein wachsender Tumor.

Heute ist oft von Immun-Therapie die Rede. Was ist darunter zu verstehen?

Die «Tumor-Immuntherapie» ist ein Überbegriff für ganz verschiedene Ansatzpunkte, die mit Methoden des Immunsystems Krebs bekämpft. Das können entweder von aussen z.B. als Infusion zugeführt Immuntherapeutika sein (z.B. Antikörper gegen Tumorzellen, die in dieser Art vom Körper normalerweise nicht gebildet werden) oder es kann darum gehen, dass im Falle einer Stilllegung des eigenen Immunsystems dieses aktiviert wird, indem man quasi die «Bremsen» des Immunsystems lockert und damit die Immun-Toleranz aufhebt.

Es gibt verschiedene Arten der Krebstherapie. Können Sie uns diese kurz beschreiben und die Immuntherapie einordnen?

Andere Prinzipien der Krebstherapie sind, grob zusammengefasst, die Chirurgie, die Bestrahlung und die klassische Chemotherapie, sowie die neuen molekularen, zielgerichteten Therapien, die auf die Unterbrechung der krebstreibenden Veränderungen im Inneren von Tumorzellen abzielen.

Bei der Chirurgie geht es im Wesentlichen darum, den Ursprungstumor zu entfernen. Das ist bei vielen Tumoren erst einmal der Goldstandard. Ein Problem dabei ist, dass dies bei ausgedehntem Tumor mit hohen Nebenwirkungen verbunden sein kann. Wenn die Erkrankung an eine Vielzahl von Stellen gestreut hat, d.h. metastasiert ist, dann ist die Chirurgie bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr die geeignete Massnahme, weil damit mehr Schaden als Nutzen für den Patienten einhergeht und eine Heilung nicht möglich ist.

Mit der Bestrahlung ist es ähnlich, wobei auch dort, insbesondere bei limitierter Tumorstreuung oder bei Streuung in kritische Bereiche, heute grosse Fortschritte erzielt werden und die Bestrahlung zielgerichteter und nebenwirkungsärmer geworden ist. Bei ausgedehnter Metastasierung ist die Bestrahlung aufgrund der multiplen Nebenwirkungen meist jedoch nicht sinnvoll.

Die klassische Chemotherapie wird entweder zur Entfernung von kleinsten «Tumorresten» nach z.B. einer Operation oder bei ausgebreiteter Tumorerkrankung eingesetzt. Bei ausgebreiteter Tumorerkrankung ist die Chemotherapie immer noch häufig der Goldstandard. Da sich Tumorzellen im Gegensatz zu gesunden Körperzellen viel schneller teilen und die Chemotherapie am Zellteilungsapparat ansetzt, sind sie durch Chemotherapie gut angreifbar. Häufig lässt sich dadurch die Erkrankung reduzieren und das Leben verlängern. Heilungen sind bei ausgebreiteter Erkrankung aber auch unter Chemotherapie sehr selten bzw. auf wenige Tumorarten beschränkt. Das Problem der Chemotherapie ist zudem, dass sie auch auf andere sich ebenfalls schnell teilende Gewebe wirkt. Das führt zu Nebenwirkungen wie Schwächung des blutbildenden Systems, Schleimhautentzündungen und auch Haarausfall. Zudem können auch Stoffwechsel- und Entgiftungsorgane (wie die Nieren) geschädigt werden, d.h. es kann ein grosser Kollateral-Organschaden auftreten.

Die molekularen, zielgerichteten Therapien gegen intrazelluläre Tumor-Treiber und die Immuntherapien gegen Moleküle auf der Zelloberfläche wirken insgesamt spezifischer. D.h. diese Therapien repräsentieren wichtige Schritte in die Richtung, möglichst nur dem Tumor zu schaden und das gesunde, lebensnotwendige Gewebe zu verschonen.

Wie kann das eigene Immunsystem den Krebs erkennen und wie wird dieses verstärkt?

Bei der Art der Immuntherapie, die darauf abzielt, die Bremsen für das eigene Immunsystem zu lösen, verfolgen wir das Ziel, die vorhandene aber inaktive Immunantwort zu stärken, damit diese den Krebs bekämpft. Die Immunantwort basiert darauf, dass die Krebszellen auf der Oberfläche ein Tumor-Antigen haben können, d.h. ein Oberflächenmerkmal tragen, das sich vom gesunden Gewebe unterscheidet. Damit kann die Tumorzelle vom Immunsystem als eine Art Fremdzelle wahrgenommen werden. Manche Tumoren haben viele dieser unterschiedlichen Oberflächenmerkmale, andere haben wenige davon. Zudem können Tumore auch spezifische «Bremsmoleküle» für das Immunsystem produzieren. Interessant und logisch ist, dass die Immun-Aktivierungstherapie des eigenen Immunsystems in der Regel genau bei denjenigen Patienten gut wirkt, deren Tumore im Vergleich zum gesunden Gewebe viele unterschiedliche Oberflächenmerkmale und viele dieser Bremsmoleküle tragen. Durch Aufheben des Brems- oder auch Kontrollsignals – die Substanzen werden auch «Checkpoint-Inhibitoren» genannt – kommt es dann zur Tumor-Immunantwort.

Eine Nebenwirkung dieser aktivierenden Immuntherapie kann sein, dass auch die Bremsen anderer Immunzellen gelöst werden und damit Nebenwirkungen auftreten, die Autoimmunerkrankungen entsprechen, d.h. dass das Immunsystem eben auch gesundes Gewebe angreift. Hier gibt es also ein Problem der Trennschärfe. Die dadurch entstehenden Nebenwirkungen können je nach Krebsart aber in Kauf genommen und zum Teil auch gut kontrolliert werden. Insgesamt kann man von weniger und anderen Nebenwirkungen als bei der klassischen Chemotherapie ausgehen.

Welche Arten der Immuntherapie gibt es aktuell sonst noch?

Neben der oben genannten Aktivierung des eigenen Immunsystems gibt es Immuntherapien, bei denen Strukturen des Immunsystems extern hergestellt werden. Diese werden dann infundiert. Das einfachste und klassische Beispiel sind sogenannte Antikörper, die auf Tumorzelloberflächen gehen und diese angreifen. Entweder sind die Ziele der Antikörper tumor-spezifisch (das ist selten) oder die Ziele sind auch auf gesunden Geweben vorhanden, aber in geringerer Dichte, oder aber auf das Gewebe kann temporär verzichtet werden und es regeneriert nach der Therapie.

Neuere Entwicklungen in der sogenannten «Designer Immunologie» zeigen, dass man auch Antikörper oder Antikörperfragmente herstellen kann, an die man dann entweder Chemotherapie oder Strahlentherapie oder Zellbotenstoffe koppeln und diese relativ selektiv zum Tumor bringen kann. Ebenso lassen sich Antikörper herstellen, die als aktivierende Brücke zwischen Tumorzelle und körpereigener Immunzelle wirken. D.h. diese Antikörper regen die Immunzelle zur Abtötung der Tumorzelle an. Eine weitere Entwicklung ist die genetische Manipulation von körpereigenen Immunzellen. So können Antikörper in «Killerzellen» eingebracht werden, damit diese dann mit hoher Selektivität die Tumorzellen angreifen. Dazu gehören beispielsweise die sogenannten CAR-T Zellen. Eine weitere interessante Entwicklung ist die Möglichkeit der immunologischen Aktivierung von Fresszellen. Damit soll in Kombination mit Immuntherapie ein möglichst selektives Abräumen von Tumorzellen erzielt werden. Für all diese Arten der Immuntherapie gibt es inzwischen beispielhaft Therapien, die entweder schon in der Klinik zugelassen oder aber in der frühen klinischen Erprobung sind.

Auch diese Therapien sind nicht ohne Nebenwirkungen. Z.B. kann die massive künstliche Aktivierung des Immunsystems Zustände wie bei einer Blutvergiftung, d.h. hohes Fieber und Kreislaufschwäche auslösen. Das kann gefährlich sein, es gibt aber auch schon Gegenmassnahmen, die wirksam sind.

Wie setzt das USZ die Immuntherapie ein?

Alle oben genannten Methoden der Immuntherapie einschliesslich der CAR T-Zell Therapie und der Fresszell-aktivierenden Therapie werden am USZ eingesetzt. Insbesondere bei der Bekämpfung des schwarzen Hautkrebses (Melanom) und des Lungenkrebses wird die das eigene Immunsystem aktivierende Therapie heute sehr erfolgreich angewendet. Im Bereich der CAR T-Zell Therapie und der bispezifischen, T-Zell aktivierenden Antikörpertherapie sind insbesondere Lymphome und die Plasmazell-Erkrankungen im Fokus. Präklinisch betreiben wir Forschung zum Antikörper-Engineering und zu CAR T-Zellen, z.B. auch in einem klinischen Forschungsschwerpunkt mit der Universität Zürich und der ETH zusammen.